© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/14 / 22. August 2014

Haare auf der Brust
Kino II: Das skandinavische Horror-Drama „When Animals Dream“ verbindet den Reifeprozeß eines Mädchens mit dem Mythos des Wolfsmenschen
Claus-M. Wolfschlag

Der Schwede Tomas Alfredson bewies 2008 mit seinem Film „So finster die Nacht“, daß das moderne skandinavische Kino mit Leichtigkeit auch in der Lage ist, Symbiosen mit dem Horrorgenre einzugehen. Die langsame Erzählweise, die düstere Farbpalette, der Hang zu skurriler Situationskomik, die oft so typisch für das skandinavische Kino erscheinen, können auch für Ausgriffe in das phantastische Gebiet genutzt werden. Hier verbinden sich die Zutaten zum Drama, werden gar zur Tragödie, und dies unter Beibehaltung des Independent-Charmes.

Skandinavischer Horrorfilm hat also bislang sehr wenig mit der oberflächlichen Unterhaltungsindustrie US-amerikanischer Provenienz gemein. Vielmehr sind die Macher hier den hintergründigen Ursprüngen des Genres nahe, so daß die phantastischen Horrorwelten vor allem nur als verstärkendes Element dienen, um die immerwährenden menschlichen Antriebe, Ängste und Dramen deutlicher hervortreten zu lassen.

In Alfredsons Vampirgeschichte entwickelte einst ein vereinsamter Schuljunge Freundschaft zu einem im gleichen Wohnblock lebenden Nachbarsmädchen, das sich schließlich als ebenfalls einsame Vampirin entpuppte. Nun hat der Däne Jonas Alexander Arnby eine andere Horrorsparte gewählt, um daraus ein ähnlich vielschichtiges Drama zu entwickeln. Es geht in seinem Film „When Animals Dream“ um ein Pubertätsdrama, um die ausgrenzenden sozialen Strukturen in Landgemeinden und um lang verborgen gehaltene Familiengeheimnisse, denen die Kinder erst spät durch eigene Recherche auf die Spur kommen. Vor allem spielt die Entdeckung der eigenen Sexualität, die damit verbundene Unsicherheit und die Aggression als Reaktion auf erlittene Pein eine große Rolle. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper zwingt somit auch zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Wesen.

Die Hauptfigur Marie (Sonia Suhl) lebt als zurückhaltender Teenager in einem kleinen Fischerdorf an der dänischen Nordküste. Sie beginnt die Arbeit in der örtlichen Fischfabrik, wo es zu kleineren Konflikten mit einigen zudringlichen und unfreundlichen Kollegen kommt. Der ebenfalls dort beschäftigte Daniel (Jakob Oftebro) entwickelt rasch Sympathie für das junge Mädchen, von deren ungestümer Art er sich angezogen fühlt.

Zu Hause pflegt Maries Vater die kranke Mutter. Regelmäßig erhält die im Rollstuhl sitzende und apathisch wirkende Frau Medikamente, die der Landarzt fast konspirativ ins Haus bringt. Marie rätselt, unter welcher Krankheit ihre Mutter eigentlich leidet, bis sie leichte Veränderungen auch an ihrem eigenen Körper feststellt. Haare wachsen ihr auf der Brust, was sie schamhaft zu verbergen versucht, auch als das Verhältnis zu Daniel intim zu werden ansteht.

Offenbar handelt es sich um eine Erbkrankheit, ein Familiengeheimnis, das nun an ihr Ohr dringt, obwohl es den mißtrauischen Augen der Dorfbewohner lange schon bekannt ist. Ihre Mutter ist ein mit harten Medikamenten ruhiggestellter Werwolf, und Marie überlegt, ob dieses apathische Vegetieren im Rollstuhl auch ihr künftiges Schicksal darstellen soll. Währenddessen beginnen die ersten Morde, und die feindseligen Bürger werden unruhig.

Regisseur Arnby gelingt es, durchaus vergleichbar mit Alfredsons „So finster die Nacht“, die Horrorgeschichte in die Kreisläufe des Lebens einzubetten. Löst bei Alfredson der zwölfjährige Held den verstorbenen, alten Lebensgefährten der unsterblichen Vampirin ab, so stellt sich in „When Animals Dream“ der jungen Marie die Frage, ob sie mit ihrem Freund Daniel dasselbe Lebensmodell annehmen will, das sie bei ihren Eltern vorgefunden hat. Die ewige pubertäre Frage der Ablösung vom Elternhaus wird hier ganz drastisch durch Maries Rebellion dargestellt, die ihre jugendliche Kraft gegen Konventionen und bürgerliche Angst stellt.

Somit ist „When Animals Dream“ zwar ein ungewöhnlich inszenierter Werwolf-Streifen, aber das phantastische Motiv dient primär zur Betonung der ewigen Teenager-Konflikte. Zudem besticht der schwermütige Film durch die außergewöhnliche landschaftliche Atmosphäre von Dänemarks einsamem Norden.

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