© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  35/14 / 22. August 2014

Weniger Staat im Rundfunkrat
Verfassungsrichter Andreas Paulus stimmte gegen das ZDF-Grundsatzurteil, weil es ihm nicht weit genug ging
Taras Maygutiak

Hohn und Spott mußte sich das ZDF vor wenigen Wochen gefallen lassen, als die hochnotpeinliche Trickserei in der Sendung „Deutschlands Beste“ herauskam. Um ein paar Politiker und Ankermann Claus Kleber im besseren Lichte dastehenzulassen, hatten ZDF-Mitarbeiter einfach an der Beliebtheitsskala einer Forsa-Liste geschraubt.

Die vom ZDF zur Schau getragene Seriosität bekam empfindliche Schrammen. Unterhaltungschef Oliver Fuchs mußte den Hut nehmen, eine Teamleiterin ihren Platz räumen, und eine Redakteurin wurde abgemahnt.

Ob das nur Bauernopfer gewesen sind und es zuvor eine Einflußnahme der politisch besetzten Gremien gegeben hatte, läßt sich nicht klären. Damit solche Einflußnahmen aber erst gar nicht möglich sind, waren Rheinland-Pfalz und Hamburg 2013 vor das Bundesverfassungsgericht gezogen und hatten gegen den ZDF-Staatsvertrag geklagt. Verletzt sahen die Kläger das „Gebot der Staatsferne“ (JF 14/14).

Das Urteil wurde seinerzeit landauf, landab gefeiert

Die Zusammensetzung des Fernseh- und Verwaltungsrates des ZDF ist nicht verfassungskonform, urteilte das Bundesverfassungsgericht im März dieses Jahres. „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll die im Gemeinwesen vertretenen Meinungen facettenreich widerspiegeln. Er darf aber nicht zum Staatsfunk werden, der lediglich die Auffassungen von Regierung und Exekutive verbreitet“, sagte Vize-Gerichtspräsident Ferdinand Kirchhof damals bei der Urteilsverkündung.

Das Urteil wurde landauf, landab in den Medien (Handelsblatt: „Karlsruhe will ‘Staatsfunk’ verhindern“) gefeiert. Der neue Grundsatz aus dem Urteil, „der Anteil staatlicher und staatsnaher Mitglieder darf ein Drittel der gesetzlichen Mitglieder des jeweiligen Gremiums nicht übersteigen“, wurde als Problemlösung identifiziert. Zur Umsetzung des Urteils bekam das ZDF Zeit bis Juli 2015.

Das 50seitige Leitsatz-Konvolut zum Urteil trugen alle Richter des 1. Senats mit – außer einem. In seiner „abweichenden Meinung“, die der JF vorliegt, beleuchtet Richter Andreas Paulus das Urteil seiner Kollegen kritisch. Sein Fazit: Es sei zu befürchten, daß das Versprechen eines staatsfernen Rundfunks auch nach der nunmehr 14. Rundfunkentscheidung des Bundesverfassungsgerichts unerfüllt bleibe. „Das Urteil setzt seinen eigenen Ansatz nur zum Teil um“, mahnt er.

Paulus hält die Drittelquote, welche staatliche und staatsnahe Vertreter umfaßt, zur „Gewährleistung der Vielfalt im ZDF“ für nicht ausreichend, um den grundgesetzlichen Vorgaben eines staatsfernen Rundfunks zu entsprechen.

Er plädiert für eine „weitgehende Freiheit der Aufsichtsgremien von Vertretern des Staates“. Indem er auf die Länderanstalten verweist, begründet er, daß das anderswo schließlich ebenfalls Praxis sei. Besonders kritisch bewertet er, wenn Mitglieder der Exekutive, also der Regierungen, in den Gremien sitzen. Mitglieder von Parlamenten oder Parteien – als von der Verfassung vorgesehene Volksvertreter und Vermittler zwischen Staat und Bürgern – könnten durchaus in „eng begrenzter Zahl Mitglieder in Fernseh- und Verwaltungsrat sein“, so der Richter in seinem Sondervotum.

Abgeordnete und Parteien nur in eng begrenzter Zahl

In der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe hatte eine längere Passage des Buchs „Mein Leben mit dem ZDF“ des langjährigen ZDF-Intendanten Dieter Stolte für viel Gesprächsstoff gesorgt. Stolte spricht in dem Buch über die sogenannten „Freundeskreise“ und beschreibt, wie wichtig diese sind. Er nennt diese Freundeskreise „politische Strukturen mit starkem Einfluß“.

Länderanstalten Spielwiese für Medienpolitiker

Ferner berichtet er von Sitzungen – er schreibt von CDU- und SPD-Freundeskreisen –, die an Vorabenden von Fernsehratssitzungen im selben Hotel abgehalten würden. Erscheint dieses Thema in der Urteilsbegründung seiner Kollegen nur noch marginal, so beleuchtet Richter Paulus die Kungelrunden genauer: „In Wirklichkeit sind die Rundfunk- und Fernsehgremien ein Spielfeld von Medienpolitikern aus den Ländern, die – wie sollten sie auch anders – ihre medienpolitischen Konzepte in Fernseh- und Verwaltungsrat zu verwirklichen suchen.“

Damit erscheinen sie aber ungeeignet für die Aufsicht über die Gewährleistung der Rundfunkfreiheit und Meinungsvielfalt durch die Rundfunkanstalten, betont er. Zudem wird den Ländern eingeräumt, Exekutivvertreter, auch im Rang eines Ministerpräsidenten, in die Gremien zu bestellen.

Das Urteil öffne die Aufsichtsgremien eben jenen „amtlichen Perspektiven“, die es gerade noch begrenzen wollte, moniert Richter Paulus. Unterm Strich fordert er: „Vertreter der Exekutive von Bund und Ländern sind von der Mitgliedschaft in den ZDF-Gremien entweder – wie in den meisten Länderanstalten – ganz auszuschließen oder auf eine Minimalpräsenz zu beschränken.“ Die Aufsichtsgremien seien ganz von Vertretern der Exekutive freizuhalten. „Allenfalls mag es noch angehen, die Mitwirkung von Exekutivmitgliedern im Fernsehrat zu einem geringen Maß – maximal ein Sechstel, also die Hälfte der Gruppe der vom Senat herausgearbeiteten staatsnahen Vertreter – zuzulassen.“ Ganz auszuschließen sei die Mitgliedschaft der Länderexekutive im Verwaltungsrat.

Paulus’ Thesen werden unter Medienexperten diskutiert. Der frühere Stoiber-Berater Michael Spreng etwa schrieb in einem Kommentar im Berliner Kurier über die Berufung von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann: „Es rächt sich jetzt, daß die Karlsruher Richter im März nur ein halbherziges Urteil gefällt haben, statt dem Minderheitsvotum ihres Kollegen Andreas Paulus zu folgen.“

Foto: Verfassungsrichter Andreas Paulus: Eine mutige Entscheidung eines Verfassungsrichters gegen mehr Politeinfluß auf das ZDF

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