© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/14 / 29. August 2014

Die Angst vor den Tschetschenen
Islamismus: Immer mehr radikalisierte Asylbewerber aus dem Kaukasus suchen Schutz in Deutschland und machen Jagd auf Andersgläubige
Ronald Gläser / Henning Hoffgaard

Als der Syrer Adnan Al Mekdad auf seine Nachbarn, die Tschetschenen zu sprechen kommt, senkt er die Stimme so sehr, daß er kaum zu verstehen ist: „Es ist schwer mit ihnen“, sagt er.

Der Bürgerkriegsflüchtling aus Damaskus schaut zu den drei Männern auf der anderen Straßenseite. Es sind Tschetschenen, und Adnan will keinen neuen Ärger provozieren. Er berichtet, wie es zu dem Streit gekommen sein soll: Ein tschetschenischer Junge hat ein syrisches Mädchen gegen seinen Willen mit dem Handy fotografiert. Die Freunde oder Verwandten des Mädchens sprangen ihm beiseite. Binnen Sekunden entfesselte dies in der ersten Augustwoche eine der schlimmsten Massenprügeleien, die es je in einem Berliner Asylbewerberheim gegeben hat.

Einhundert Tschetschenen verprügelten rund 30 christliche Syrer. Fünf Syrer kamen mit Rettungswagen ins Krankenhaus. Zwei wurden eingewiesen. Die Polizei mußte mehrfach ausrücken, um für Ruhe zu sorgen. Einmal mußten mehrere Beamte sogar ihre Waffe ziehen, als die Situation eskalierte. Die Syrer sind daraufhin aus dem Asylbewerberheim geflohen. Auch die Tschetschenen sollen in ein anderes Heim kommen.

Gegenüber den Syrern sollen die Tschetschenen geprahlt haben, in Syrien im Heiligen Krieg zu kämpfen. Sieben von ihnen wurden festgenommen. Das zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales äußerte sich nicht zu den Vorfällen. Eigentlich genießt das frühere Notaufnahmelager Marienfelde einen guten Ruf. Früher sind hier Tausende von DDR-Flüchtlingen untergebracht worden, bis sie etwas Besseres gefunden haben. Auch heute sollen die Flüchtlinge eigentlich schnell untergebracht, „integriert“ werden. Aber das klappt mit manchen Zuwanderergruppen schneller, mit den andern langsamer. Elita, eine 18 Jahre alte Tschetschenin, lebt bereits seit fünf Jahren mit ihren fünf Geschwistern im Notaufnahmelager. Sie sind schwieriger zu integrieren, da viele von ihnen als Fremdsprache allenfalls Russisch beherrschen.

Fast 14.000 Asylbewerber aus dem Kaukasus

Ganz anders Adnan Al Mekdad, der Journalist aus Syrien. Er spricht gut Englisch und freut sich, daß auch sein jüngster Sohn bald in eine deutsche Schule kommt. Die Organisation Reporter ohne Grenzen hat ihn mit seinen vier Kindern herausgeholt. Seit 1. August lebt er im Asylheim. „Ich will dazugehören“, sagt er und meint die deutsche Gesellschaft.

Das gleiche gilt für Achmed Faridi. Der Familienvater aus Afghanistan hat als Dolmetscher für die Bundeswehr gearbeitet und fürchtet, nach dem Abzug der Nato von den neuen Machthabern verfolgt zu werden. Es gibt 20 afghanische Familien, die mit den deutschen Truppen in Afghanistan zusammengearbeitet haben und in dem Notaufnahmelager untergebracht sind. Ein Geschenk als Dankeschön für die Auskunft lehnt er ab. „Wenn ich euch Deutschen helfen kann, ist mir auch geholfen“, sagt er. Nur Gummibärchen für seine dreijährige Tochter Aische mag er annehmen.

Faridi berichtet, die Afghanen hätten ihren eigenen Schutz organisiert nach den Ausschreitungen im Lager. „Wir kommen aus einem Land, in dem gekämpft wird, und wollen nicht schon wieder kämpfen.“ Er kam am Tag nach den Auseinandersetzungen.

Ein anderer Afghane, der aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen der Tschetschenen seinen Namen nicht sagen möchte, war dabei und berichtet, wie sie in der Krawallnacht die Fenster verrammelt und sich in Sicherheit gebracht haben. Er sagt: „Es ging das Gerücht um, daß die Tschetschenen die anderen beschimpft hätten: Ihr verhaltet euch nicht wie richtige Moslems.“ Schon in der Vergangenheit hatte es Streit zwischen Tschetschenen und Syrern gegeben, weil ein Syrer ohne Hemd herumgelaufen sei. Dies sei eine Beleidigung für die Frauen, so die Tschetschenen.

Der Gewaltexzeß in Berlin war keine Ausnahme. Im nordrhein-westfälischen Herford attackieren Anfang August mehrere Tschetschenen einen von kurdischen Jesiden betriebenen Imbiß. Der Grund: Im Schaufenster hing ein Plakat, das zu einer Demonstration gegen den Terror des „Islamischen Staates“ (IS) im Irak aufrief. Fünf Männer aus der russischen Kaukasusrepublik griffen sofort an und verletzten einen jungen Jesiden mit einem Messer. Im August mißhandeln radikalislamische Tschetschenen in einem Asylbewerberheim in Eisenhüttenstadt ein Ehepaar wegen deren angeblich „unsittlichen Verhaltens“. Auch in Österreich geraten islamistische tschetschenische Asylbewerber mit schweren Gewalttaten und antisemitischer Propaganda immer wieder in die Negativschlagzeilen.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge registierte 2013 insgesamt 15.473 Asylanträge aus Rußland. Nur, wie viele davon kommen aus Tschetschenien? Wie die Behörde auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mitteilt, gaben in Befragungen fast 90 Prozent der russischen Asylsuchenenden an, tschetschenischer Volkszugehörigkeit zu sein. Im Vergleich zu 2012 stieg die Zahl ihrer Asylbegehren in Deutschland um fast 600 Prozent. Im laufenden Jahr brach die Zahl der von Tschetschenen gestellten Asylanträge bis Ende Juni 1.995 ein. Grund dafür ist vor allem die Krise in der Ostukraine. Moskau und Kiew werfen sich gegenseitig vor, Tschetschenen bei Kampfhandlungen einzusetzten. Rußland allerdings hat nun kein Interesse mehr, Islamisten aus der Kaukasusregion so einfach nach Westeuropa reisen zu lassen. Die russische Botschaft ließ eine Anfrage der JUNGEN FREIHEIT zur Ausreise tschetschenischer Asylbewerber unbeantwortet.

Innenministerium sieht hohe Gewaltaffinität

Das Bundesinnenministerium beobachtet die Situation mit Sorge. Zwar gebe es bislang keine Erkenntnisse, daß „potentiell gefährliche Personen“ aus Tschetschenien in Deutschland Asyl suchten, dennoch sei darauf hinzuweisen, „daß junge Tschetschenen mit Blick auf ihr Herkunftsland eine nicht geringe Gewaltaffinität mitbringen“. Deutschland werde von tschetschenischen Islamisten bisher vor allem als „Rückzugsraum“ genutzt, bestätigt das Ministerium der JF. Besonders im Visier der Sicherheitsbehörden: das „Kaukasische Emirat“ mit 200 Anhängern in Deutschland sowie die „Tschetschenische Republik Itschkeria“ mit 50 Sympathisanten. Es ist eine durchaus gefährliche Mischung. Gewaltbereitschaft, religiöse Radikalisierung und terroristische Gruppierungen mit Kontakten zum „Islamischen Staat“ (siehe auch Seite 9).

Foto: Flüchtlinge vor der Asylbewerberheim Berlin-Marienfelde; der Afghane Achmed Faridi mit seiner Tochter: „Ich will dazugehören“

 

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