© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/14 / 29. August 2014

Niemandsland zwischen Glitzerwelt und Terror
Tschetschenien: Der von Moskaus Gnaden abhängige Kadyrow-Clan regiert das Land mit harter Hand / Opposition restlos zerschlagen
Marc Zöllner

Erneut rollten vergangenen Samstag Panzer durch die Hochhausschluchten Grosnys. Soldaten marschieren im Gleichschritt über die Wladimir-Putin-Allee, die zentrale Büro- und Einkaufsmeile der Stadt, Artilleristen präsentierten stolz ihre Geschütze. Doch Anlaß war diesmal nicht der Krieg, welcher die dreihunderttausend Einwohner zählende Hauptstadt Tschetscheniens bereits zweimal in Schutt und Asche legte. Pompös feierte die tschetschenische Regierung den Geburtstag Achmat Kadyrows, des ersten Präsidenten der Republik, der an diesem Tage 63 Jahre alt geworden wäre, hätte ihn nicht eine Bombe des radikalislamischen Rebellenführers Schamil Bassajew bereits 2004 aus dem Leben gerissen.

Der von Moskau noch immer exzessiv betriebene Personenkult um Achmat Kadyrow verdeutlicht nicht nur, wie tief die tschetschenische Gesellschaft gespalten ist. Gerade bei den Tschetschenen gilt ihr ehemaliger Mufti noch immer als Hochverräter. Einst Anführer der Unabhängigkeitsbewegung, lief Kadyrow später zum Kreml über und ließ sich von Putin als neuer Machthaber in der Kaukasusrepublik installieren.

Radikalislamische Rebellen sind begehrte Kämpfer

Es verwundert somit nicht, daß sich zu den postumen Feierlichkeiten nur wenige Zuschauer einfanden. Aus Furcht vor Anschlägen wurden die Zugangsstraßen von Militär und regierungstreuen Milizen hermetisch abgeriegelt. Zutritt bekamen neben einigen auserlesenen Reportern nur wenige Vertreter des Staatsapparats, an ihrer Spitze der autokratisch herrschende Ramsan Kadyrow – Sohn des Verstorbenen.

Was seit dem Machtantritt der Kadyrow-Dynastie an Nachrichten die Außenwelt erreicht, ist leicht zu filtern, jedoch schwer zu analysieren. Unabhängigen Berichterstattern wird die Einreise in das gebirgige Land aus Gründen der eigenen sowie der nationalen Sicherheit massiv erschwert. Auch die russischen Staatsmedien zeigen zumeist prachtvolle Bilder der wiederaufgebauten Innenstadt Grosnys, ihrer glitzernden Fassaden, neu gebauter Schulen und Moscheen. Über die grassierende Arbeitslosigkeit von 55 bis 85 Prozent – offizielle Zahlen wurden nie erhoben – berichten die Medien jedoch wenig.

In Chernokozovo unterhält Kadyrow noch immer persönlich eines der gefürchtetsten Haft- und Folterlager der Russischen Föderation. Über zehntausend Menschen waren in dieser abseitigen Anlage interniert. Die zivile Opposition wurde restlos zerschlagen; ihre Anführer und Informanten zu Dutzenden noch in Wien und Moskau, in Istanbul und Dubai gezielt getötet.

Mit Unterstützung russischer Spezialkräfte gelang es ihm überdies, die radikalislamischen Rebellen auf auswärtige Kriegsschauplätze zu vertreiben, etwa in den Irak und nach Syrien. Auch in Afghanistan stellen tschetschenische Söldner eine der Speerspitzen der Taliban im Kampf gegen die US-Truppen. „Die Tschetschenen hier sind einfach eine komplett andere Spezies als die Taliban“, erzählte kürzlich das Mitglied einer US-Spezialeinheit dem Sender ABC. „Die haben mehr Leidenschaft, mehr Disziplin und einfach kein Respekt vor dem Leben.“

Nach dem Tod ihres Gründers Doku Umarow im März 2014 verlagerten die militant-islamistischen Anhänger seines Kaukasus-Emirats den Schwerpunkt ihrer bewaffneten Überfälle überdies in die benachbarte Republik Dagestan. Bombenanschläge auf Polizeistationen sowie Überfälle auf Militärtransporter gehören dort seitdem zu einer alltäglichen Regelmäßigkeit, die allein seit Monatsbeginn sieben Menschen das Leben kostete.

Doch auch in den stetig wachsenden Flüchtlingsströmen gen Westen, insbesondere nach Deutschland, finden immer mehr Unterstützer des Emirats unerkannt Unterschlupf.

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