© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/14 / 29. August 2014

Einzige Papstwahl auf deutschem Boden
Globalität im Spätmittelalter: Die Große Landesausstellung Baden-Württemberg präsentiert das Konstanzer Konzil
Felix Dirsch

Heute kann man sich kaum mehr eine Vorstellung davon machen, welche weitreichende Relevanz ein „Weltereignis“ wie das Konzil von Konstanz (1414–1418) für die Zeitgenossen besaß. Es fungierte als Schnittpunkt zentraler kirchlicher, politischer, künstlerischer, literarischer, sozialgeschichtlicher, ökonomischer und kommunikativer Grundtendenzen der Epoche. Schon die Eröffnung, wie sie die Chronisten schildern, muß ein unauslöschliches Erlebnis in der Erinnerung der Zeitzeugen gewesen sein. Ein nicht enden wollender Troß von geistlichen und politischen Würdenträgern, Handwerkern, Gelehrten, Bankiers, Händlern, Prostituierten und vielen anderen zog in die Stadt ein.

Beendigung des großen Schismas

Vom gesamten Erdball strömten die Menschen, so scheint es zumindest, nach Konstanz. Die Kurtisanen brannten sich besonders ins historische Gedächtnis ein, was die Imperia-Statue am Hafen des Bodenseeortes verdeutlicht. In Konstanz hielten sich unmittelbar vor dem Konzil rund 6.000 Menschen ständig auf, in der Konzilszeit mußten jedoch um die 70.000 Gäste beherbergt werden.

Das badische Landesmuseum Karlsruhe, an erster Stelle der Direktor Harald Siebenmorgen und die Projektleiterin Karin Stober, hat sich vorgenommen, die Komplexität der Zusammenhänge am historischen Ort, dem Konzilsgebäude, darzustellen. Das herkulische Unternehmen zum sechshundertjährigen Jubiläum, soviel sei vorweggenommen, ist erstaunlich gut gelungen.

Am Anfang der Ausstellung wird der Besucher mit etlichen herausragenden künstlerischen Artefakten aus der Zeit des Schönen Stils um 1400 konfrontiert, die einen Einblick in die tiefe Frömmigkeit der Zeit geben. Die Gotik in den deutschen Landen brachte in dieser Periode nicht zuletzt repräsentative Mariendarstellungen hervor. Die Fülle an Exponaten kann im Rahmen einer kurzen Besprechung selbstredend nicht ausreichend gewürdigt werden.

Im Zentrum der Ausstellung steht jedoch das wichtigste Anliegen der Kirchenversammlung: die Beendigung des großen Schismas, das die abendländische Christenheit schon längere Zeit belastete. Um weiteren Ansehensverlust des Papsttums zu vermeiden, mußte die Einheit wiederhergestellt werden. Das Amt des einen Stellvertreters Christi war so populär geworden, daß es im Laufe der Zeit drei Inhaber mit einer jeweils größeren oder weniger großen Zahl an Anhängern gab. Daß die Union außerordentlich schwer zu erreichen war, zeigt der Verlauf des Konzils von Pisa, das 1409 stattfand. Zwei Päpste setzte man ab, die sich allerdings weigerten, zurückzutreten. Der neu gewählte Papst Alexander V. und sein Nachfolger Johannes XXIII., der später von der Liste der legitimen Amtsinhaber gestrichen wurde, waren jeweils der Dritte im Bunde.

Dem nachmaligen Kaiser Sigismund, der keineswegs uneigennützig handelte, war es zu verdanken, daß sich endlich etwas bewegte. Am Ende vielfältiger diplomatischer Maßnahmen stand die Wahl eines neuen Papstes, der schließlich mit allgemeiner Anerkennung rechnen konnte: Oddo Colonna, der sich als Martin V. durchsetzte. Wer darin einen grundsätzlichen Sieg des Konziliarismus erblickt, also der Lehre, daß das Konzil dem Papst grundsätzlich übergeordnet sei, der täuschte sich. Zwar ordnete das Dekret „frequens“ die häufige Durchführung von Nachfolgekonzilien an, die auf die rechtmäßige Ausführung der gefaßten Bestimmungen achten sollten. Einmal im Amt, verfolgte der neue erste Mann der Christenheit freilich traditionelle papalistische Neigungen.

Wer die einzelnen Abschnitte des Rundgangs aufmerksam passiert, der stößt mitunter auf wenig bekannte geschichtliche Fakten. Zu ihnen zählt auch die Belehnung des Getreuen des Königs Sigismund, des Burggrafen von Nürnberg Friedrich VI., mit der Mark Brandenburg. Somit wurde der langsame Aufstieg dieses späteren Schlüsselterritoriums des Alten Reiches im Schatten der großen Kirchenversammlung grundgelegt.

Jan Hus starb auf dem Scheiterhaufen

Kaum zu überschätzen ist auch die vielfältige Rezeption der Konstanzer Beschlüsse. Am Ende der Ausstellung findet sich einiges dazu. Bereits um 1400 waren Grenzüberschreitungen der herkömmlichen Vorstellungen von „Welt“ festzustellen. Der Horizont weitete sich innerhalb weniger Generationen. Das Konzil ist zumindest ein indirekter Schrittmacher.

Erste vorsichtige Regungen, die man später den Anfängen der Renaissance zuordnen wird, lassen sich in seinem Umfeld erkennen. Ein arbeitslos gewordener Sekretär des abgesetzten Papst Johannes XXIII. findet einen Text des antiken Autors Lukrez, der die Lust zum höchsten Zweck des Daseins erhebt – ein Fragment, das die kirchlichen Autoritäten der Zeit als wenig erheiternd empfunden haben dürften. Stephen Greenblatt hat dieses Schriftstück in seiner vieldiskutierten Untersuchung „Die Wende“ als maßgeblich im Hinblick auf die ab diesem Zeitpunkt intensivierte Neuaneignung der antiken Sicht von Mensch und Welt bezeichnet. Zudem hat Papst Martin V. Masaccio nach Rom berufen, nachdem dieser bereits in Florenz als einer der ersten den Raum perspektivisch dargestellt hat.

Auch ein anderes Ereignis wird in der Ausstellung nicht ausgespart: Zwar hat das Konzil die kirchliche Einheit wiederhergestellt, die diskutierten Reformen jedoch kaum angepackt. Das erzürnte vor allem die Hussiten, deren Galionsfigur auf dem Scheiterhaufen sterben mußte, obwohl ihm vorher sicheres Geleit zugesichert worden war: Jan Hus. Dieser Erbe des Reformers John Wyclif wird seit jeher als einer der Vorläufer Luthers betrachtet. Vor seinem Tod prophezeite Hus einen Schwan, als der im nachhinein meist der Wittenberger Reformator gesehen wurde. In den böhmischen Regionen überlagerten sich revolutionäre theologisch-liturgische Forderungen, etwa die nach dem Laienkelch, mit sozialreformerisch-nationalen Postulaten.

Es soll nicht als beckmesserisch verstanden werden, wenn der Rezensent nicht nur einige Ungenauigkeiten feststellt, sondern darüber hinaus Belege findet, daß etliche der Begleittexte aufgrund ihrer Kompliziertheit schwer zugänglich sein dürften. Einmal wird von Sigismund als luxemburgischem König gesprochen. Korrekt müßte es heißen, er bekleidete zunächst die Königswürde von Ungarn und Kroatien und war später römisch-deutscher König. Er stammte aus dem Geschlecht der Luxemburger.

Insgesamt sind solche Unkorrektheiten bei einem derartigen Mammutprojekt kaum zu vermeiden. Eine bessere Präsentation der distinkten Hintergründe, des Verlaufs und auch der mannigfachen Konsequenzen wäre kaum möglich gewesen. Es ist daher kein übertriebenes Lob, wenn man die Konstanzer Darbietung als heißen Aspiranten auf den Titel „beste Ausstellung des Jahres 2014“ betrachtet. Die Konkurrenten der aufwendigen Unternehmung, so ist zu vermuten, besitzen eher schlechte Karten.

Die Landesausstellung „Das Konstanzer Konzil (1414–1418) “ ist bis zum 21. September im Konzilsgebäude Konstanz, Hafenstraße 2, zu sehen. Telefon: 075 31 / 28 25 69 12

Der Katalog (WBG Darmstadt/Theiss-Verlag) mit über 500 Farbabbildungen kostet im Museum 29,90 Euro.

www.konstanzerkonzil2014.de

Bild: Christus-Johannes-Gruppe Oberrhein, um 1420/30: Der Apostel lehnt seinen Kopf an Jesu Brust

Foto: Bischofsstab Benedikts XIII.  Avignon, 1342–1352: Gegenpapst während des Schismas

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