© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/14 / 29. August 2014

„Die Schwachen schlägt man“
Vor zehn Jahren schockierten tschetschenische Terroristen mit der Geiselnahme in einer Schule in Beslan die Welt / Putin reagierte mit ungezügelter Härte
Wolfgang Kaufmann

Wir werden die Terroristen überall verfolgen. Und wenn wir sie auf dem Scheißhaus fassen, dann ertränken wir sie im Abort.“ Diesen markigen Schwur leistete der damalige russische Ministerpräsident Wladimir Putin am 24. September 1999 während einer Pressekonferenz in Kasachstan in Reaktion auf die vier Bombenanschläge auf Wohnhäuser in Moskau, Buinaksk und Wolgodonsk beziehungsweise die Massaker tschetschenischer Freischärler in Dagestan, für die der Terroristenchef Schamil Bassajew verantwortlich zeichnete. Sieben Tage später marschierte die russische Armee zum zweiten Male in Tschetschenien ein, um weitere Bluttaten dieser Art zu verhindern und die Verantwortlichen zu liquidieren.

Aufgrund ihrer militärischen Unterlegenheit gerieten die Rebellen dann auch bald in die Defensive und verloren einige wichtige Anführer wie Ibn al-Chattab alias Habib Abd ar-Rahman, Salman Radujew und Ruslan Gelajew. Das wiederum veranlaßte Bassajew zu erneuten Terrorakten: So inszenierte er unter anderem die Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater und diverse opferreiche Bombenanschläge auf die Moskauer U-Bahn, russische Passagiermaschinen und den tschetschenischen Präsidenten Achmat Kadyrow, der als Marionette Putins galt. Noch perfider – und im Ausmaß letztlich nur mit seinem mörderischen Angriff auf das Krankenhaus von Budjonnowsk im Jahre 1995 vergleichbar – war freilich der Versuch des Tschetschenen, mit Hilfe der Geiselnahme von Beslan die Freilassung inhaftierter Gefolgsleute sowie den Abzug der russischen Truppen und den Rücktritt Putins zu erzwingen.

Geiselnahme von Beslan forderte 377 Opfer

Die Aktion begann am 1. September 2004 um 9.20 Uhr, als mindestens 32 Mitglieder von Bassajews Terrorgruppe Rijadus-Salichin („Gärten der Tugendhaften“), welche vermutlich unter dem Kommando von Magomed Jewjolew standen, die Mittelschule Nr. 1 in der nordossetischen Stadt Beslan stürmten. Weil man zu diesem Zeitpunkt, wie im übrigen Rußland auch, den „Tag des Wissens“ feierte, befanden sich etwa 1.500 Menschen in der Schule, von denen zwischen 1.127 und 1.347 als Geiseln genommen und in der Turnhalle zusammengepfercht wurden. Zwei Stunden später hatten Truppen des Innenministeriums und der Miliz das Gelände umstellt. Dazu trafen im Laufe des Tages noch zwei Antiterroreinheiten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB namens Alfa und Wympel als Verstärkung ein.

Die Geiselnehmer, welche entgegen anfänglicher Gerüchte keine Araber und Sudanesen waren, sondern allesamt aus dem Nordkaukasus stammten, behandelten ihre Gefangenen mit äußerster Brutalität: So erschossen sie mehrere Erwachsene direkt vor den Augen der Schüler und verweigerten auch jede Versorgung mit Wasser, obwohl starke Hitze herrschte. Den verzweifelten Kindern bliebt nichts weiter, als ihren eigenen Urin zu trinken.

Während die Verhandlungen immer noch liefen, ereigneten sich am 3. September zwischen 13.05 und 13.19 Uhr mehrere Explosionen im Bereich der Turnhalle, woraufhin die Antiterrorkämpfer als auch bewaffnete Angehörige der Geiseln die Schule in unkoordinierter Weise zu stürmen begannen. Wie ein drei Jahre nach den Ereignissen aufgetauchtes Video beweist, hatten dabei nicht die Terroristen die Detonationen ausgelöst, sondern die russischen Einsatzkräfte, welche mit Granatwerfern in das Schulgelände feuerten. Auf jeden Fall forderten gerade der Einsturz der Decke der Turnhalle und der nachfolgende Brand in derselben die meisten Todesopfer: etwa 250 Menschen.

Insgesamt starben mindestens 377 Personen während der wenig professionellen Befreiungsaktion, darunter 186 Kinder, 31 der 32 Geiselnehmer sowie 20 Angehörige von Alfa und Wympel – womit diese beiden Spezialeinheiten den höchsten Blutzoll zu verzeichnen hatten, der je bei einem ihrer Einsätze anfiel.

Als Konsequenz aus der Geiselnahme von Beslan setzte der FSB auf Schamil Bassajew ein Kopfgeld in Höhe von 300 Millionen Rubel aus. Darüber hinaus äußerte Putin am Abend des 4. September während einer Fernsehansprache an die Nation: „Alles in allem muß man eingestehen, daß wir kein Verständnis für die Komplexität und Gefährlichkeit der Prozesse gezeigt haben, die in unserem eigenen Land und in der Welt vor sich gehen. Jedenfalls haben wir es nicht geschafft, angemessen darauf zu reagieren. Wir haben Schwäche gezeigt. Und die Schwachen schlägt man.“ Vielleicht hilft es auch, sich dieser selbstkritischen Worte Putins zu erinnern, wenn man nach den Gründen für seine derzeitigen politischen Entscheidungen sucht.

Foto: Tschetschenführer Aslan Maschadow (l.) mit späterem Beslan-Drahtzieher Schamil Basajew 1997: Äußerst brutal

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen