© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/14 / 29. August 2014

Genossentherapie mit Sahra und Oskar
Der Politikwissenschaftler Christian Nestler hat die Zeitung „Rotfuchs“ untersucht, in der sich ewiggestrige Altkommunisten erzählen, wie schön die DDR war
Christian Schwiesselmann

Der Rotfuchs ist nicht nur ein tierischer Hühnerdieb, sondern auch die Zeitung aller „selbstgefühlten“ Wendeverlierer. 1998 aus einer DKP-Postille hervorgegangen, hat sich das ultralinke Blatt unter seinem Gründer Klaus Steiniger zur „Heimatstube“ der alten DDR-Funktionseliten entwickelt. Der 1932 geborene Sohn des DDR-Kronjuristen und Verfassungsautors Peter Alfons Steiniger stammt aus der Nomenklatura des Arbeiter-und-Bauern-Staates. Nach seinem Jurastudium an der Berliner Humboldt-Universität lernte er in den Redaktionen der Aktuellen Kamera und des Neuen Deutschland das journalistische Handwerkszeug.

Bei einem Krankenhausaufenthalt nach der Wende kam Steiniger die Idee zu einem Forum, das „dem gegnerischen Angriff die Stirn“ bietet und „Positives aus der DDR“ bewahrt. Zu Steiniger gesellten sich weitere Autoren der Aufbaugeneration, etwa der SED-Schriftsteller Dieter Noll („Die Abenteuer des Werner Holt“), der Rektor der FDGB-Hochschule Horst Schneider oder der Chefkommentator des DDR-Fernsehens Karl-Eduard von Schnitzler („Der Schwarze Kanal“). DDR-Apotheose, Rechtfertigung von Mauer und Stacheldraht sowie Ausfälle gegen „Wessis“ trafen den Schwingungston der Ostalgiewelle, auf der die postkommunistische PDS in den 1990er Jahren in den Neuen Bundesländern ritt und Wahlergebnisse über zwanzig Prozent einfuhr.

Bald löste sich der Rotfuchs von der DKP im Osten Berlins und verselbständigte sich in einem Förderverein, der 2011 in 32 Regionalgruppen von der sächsischen Großstadt Chemnitz bis in die mecklenburgische Kleinstadt Teterow 1.547 Mitglieder zählte. Die Zahl der Leser schnellte auf 25.000, der Umfang wuchs von 8 auf 36 Seiten, ein semiprofessionelles Redaktionskollektiv ersetzte die Einmannredaktion. Alles lief konspirativ: Ohne Kioskverkauf und ISBN freuten sich 13.000 Abonnenten über Beiträge von Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und Egon Krenz, ärgerten sich über linke Realos wie Bodo Ramelow und hofften auf eine marxistisch-leninistische „Konterrevolution“.

Dieses skurrile Milieu aus Datschenbesitzer, Plattenbauliebhaber und Stalinverehrer würde ohne Notiz der verachteten „bürgerlichen“ Wissenschaft bis zu seinem nahen Entmaterialisierungsprozeß vor sich hin publiziert haben, hätte nicht der junge Rostocker Politologe Christian Nestler seine Magisterarbeit 2010 diesem „Revolutionsmuseum“ gewidmet, „dessen eisgraue Wärter man je nach Neigung wegen ihrer Standhaftigkeit bewundern oder auch wegen ihrer Intransigenz und Unbelehrbarkeit verachten mag“ (Rudolf van Hüllen). Das Vorwort steuerte der frühere DDR-Dissident und heutige CDU-Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz bei.

Nestlers Arbeit erschien als Band 3 der Rostocker Beiträge zu Gegenwartsfragen und schließt auf fast 180 Seiten eine Lücke in der Linksextremismusforschung, die viele Fachvertreter wegen eigener blinder Flecken sträflich vernachlässigen. Den ohne Zweifel verfassungsfeindlichen Rotfuchs schätzt der Politologe als das ein, was er ist: ein Wahrnehmungsfilter für greise Genossen, die nicht mehr umlernen wollen und können. Mit den Worten des wägenden Wissenschaftlers: eine „Lebenshilfe“ wie eine „Brille“, ein „Hörgerät“ oder ein Traumatherapeutikum für wendegeschädigte Kommunisten.

Christian Nestler: Die Ewiggestrigen. Der „Rotfuchs“ in seinem natürlichen Umfeld. ß Verlag, Rostock 2014, gebunden, 176 Seiten, 15 Euro

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