© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  36/14 / 29. August 2014

Wo weniger mehr ist
Ohne Tiertransporte, ohne Antibiotika: Authentische regionale Lebensmittel aus eigener Haltung und Schlachtung vom Gut Hesterberg in Brandenburg
Stefanie Koth

An Korn- und Maisfeldern vorbei geht es entlang idyllischer, endlos wirkender Alleen unweit Neuruppins. Inmitten einer großen Weidefläche zeigt ein verzierter Torbogen mit weit geöffneten, schmiedeeisernen Gittertoren die Einfahrt zum Gut Hesterberg an. Bereits beim Betreten ist lautes Geschnatter von Gänsen zu hören. Die lange, beidseitig von Bäumen gesäumte Zufahrt führt an Weiden vorbei, auf denen die Strohballen der diesjährigen Ernte stehen.

Ein paar Schritte weiter erscheint der Ursprung des Geschnatters. Hier leben Gänse auf einer sattgrünen Wiese. Neben einem Stall steht ihnen auch ein eigener kleiner Teich zur Verfügung. Eine große Kräuterwiese schließt sich an, auf der freilebende Hühner scharren, picken und offenbar ein glückliches Hühnerleben führen.

Die Zufahrt mündet direkt in eine kleine Straße, die vor dem als Drei-Seiten-Hof erbauten Gutsanwesen entlangführt. Das Gutshaus der Familie Hesterberg wird im Osten vom Pferdestall mit Wagenremise und im Westen von der Hofschlachterei mit Produktion und eigenem Laden mit Gastwirtschaft eingerahmt. Den Innenhof ziert ein Springbrunnen inmitten eines dem Barock nachempfundenen Gartens. Die Tische vor dem Hofladen sind mit zahlreichen Gästen gut besetzt, die extra zum einmal im Monat stattfindenden Sonntagsbrunch angereist sind. Drei ausgerissene Hennen gehen, nach Futter Ausschau haltend, zwischen den Beinen der sitzenden Besucher hin und her.

Nach einem herzhaften Mahl folgt ein Verdauungsspaziergang über das Gut. Dieser führt den Besucher vom Streichelzoo mit zahmen Ziegen vorbei am Gutshaus, den Koppeln mit Pferden und Ponys, Wildschwein- sowie Rotwildgehegen zu den Weiden mit Galloway-Rindern als Herzstück des Gutsbetriebs. Weiden, Wiesen und Waldgehege bieten den Tieren genügend Platz zur freien Entfaltung artspezifischer Bedürfnisse.

Zum schönsten Hof Deutschlands gewählt

So leben die Wildschweine in einem großen, eigenen Waldgehege mit Teich, Suhlen und Unterständen, während die ursprünglich schottischen Galloway-Rinder auf grünen Weiden das Dasein genießen – bis der Schlachter naht. Zwischen den Gehegen befinden sich brachliegende Weiden und Wiesen, von Wildblumen geziert.

Je näher der kleine Bach kommt, welcher einzelne Weiden voneinander trennt, desto mehr verändert sich der Feldboden von märkischem Sand zu feuchter, teilweise sogar matschiger Erde, die von tiefen Treckerspuren gezeichnet ist. In diesen matschigen Erdzeichnungen haben sich Schmetterlinge zum Trinken niedergelassen, die durch die Vorbeigehenden aufgeschreckt, kreuz und quer durcheinanderfliegen.

Das Besondere am Gut Hesterberg ist, neben der artgerechten und ganzjährigen Freilandhaltung der Tiere, daß sich alle Erzeugungsstufen – von der landwirtschaftlichen Urproduktion bis zur Vermarktung – in einer Hand befinden. Der in vierter Generation existierende Familienbetrieb, der nach zwölf Jahren des Bestehens bei Neuruppin schon so etwas wie eine Institution geworden ist, nutzt die über tausend Hektar Land- und Forstflächen nicht nur für die Tiere, sondern baut auch selbst Weizen und Hafer als Futtergetreide für die Tiere an. Mastfördermittel kommen nach eigener Aussage gar nicht in Betracht. Wöchentlich treten nur fünf bis sieben Galloway-Rinder ihren letzten Gang an. Um Panik im Schlachthof zu vermeiden, werden diese eingefangen und innerhalb von zwei Wochen behutsam mit nach und nach enger werdenden Gattern an enge Räume gewöhnt. Erst mit einem Alter von 24 Monaten, wovon sie als Kälber neun Monate bei ihren Müttern aufwuchsen, werden die Rinder geschlachtet.

Von der Qualität der Fleisch- und Wurstwaren können sich nicht nur die Besucher des Direktvermarktungsbetriebs bei einer der vielen verschiedenen Veranstaltungen des Hofladens und der Gaststube überzeugen. Die Produkte werden über acht eigene Filialen in Berlin und Brandenburg sowie über die Lebensmittelketten Edeka und Reichelt vertrieben. Dennoch sollte der Besucher auf einen entspannenden Ausflug in das idyllische Ruppiner Land nicht verzichten. Die Zuschauer der ARD haben Gut Hesterberg 2012 zum schönsten Bauernhof Deutschlands gewählt. Aus gutem Grund.

Inmitten von Feldern und Alleen das „Versailles der Agrarökonomie“: Galloway-Rinder auf der Weide in Sichtweite des Gutes; Qualitätswurstwaren aus dem Hofladen (rechts oben)

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