© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  37/14 / 05. September 2014

Terror als Franchise-System
Der Politikwissenschaftler Peter Wichmann analysiert die weltweiten Strategien des islamistischen Netzwerkes al-Qaida
Wolfgang Kaufmann

Im Juni 2014 glaubte Werner Schiffauer von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder Entwarnung geben zu müssen, was den Salafismus in Deutschland betreffe: dessen Gewaltpotential werde „dramatisiert“. Offensichtlich kannte der Lehrstuhlinhaber für Vergleichende Kulturund Sozialanthropologie, der sich nun als Islam- und Terrorismusexperte geriert und ansonsten gerade ein Freisemester genießt, die zwei Monate zuvor erschienene Dissertation des Politikwissenschaftlers Peter Wichmann noch nicht. Darin nämlich hätte er nachlesen können, daß der deutsche Salafismus „Verbindungslinien und Verflechtungen zum transnationalen Terrorismus der al- Qaida aufweist und daher eine außerordentlich gefährliche Erscheinungsform des Extremismus darstellt“.

Die engen Beziehungen zwischen den Salafisten hierzulande und dem nach wie vor aggressivsten Terrornetzwerk der Welt sind dabei zum einen die logische Folge davon, daß Osama bin Ladens Schöpfung selbst ein Teil der extrem fundamentalistischen salafistischen Bewegung ist, zum anderen sehen sich gerade die Salafisten in Deutschland als absolute Avantgarde des kämpferischen Islamismus und teilen damit das prinzipielle Selbstverständnis der al-Qaida.

Ein Netzwerk mit drei konzentrischen Kreisen

Die zunehmend intensivere Symbiose von Salafisten und Al-Qaida-Aktivisten in der Bundesrepublik und anderswo resultiert daraus, daß sich die Strukturen und die Strategie von al-Qaida in den letzten Jahren verändert haben. Grund hierfür ist die Erhaltung der Überlebensfähigkeit unter den Bedingungen des anhaltenden „Krieges gegen den Terror“. Mit dem Wegfall ihrer Organisationsbasis sowie der Ausbildungslager im Afghanistan der Taliban mußte die al-Qaida zwangsläufig einen transnationaleren und globaleren Charakter annehmen als vor dem 11. September 2001.

Im Zuge dieses Transformationsprozesses hat sie sich in ein Netzwerk verwandelt, das laut Wichmann aus drei konzentrischen Kreisen besteht: Im Kern befindet sich die Al-Qaida- Mutterorganisation mit ihren engsten Kooperationspartnern wie den afghanischen und pakistanischen Taliban sowie unter anderem auch den Shabaab- Milizen in Somalia und der „Armee des Islam“ im Gaza-treifen; den darumliegenden Kreis bilden die regionalen Al-Qaida-Ableger vom Schlage der al- Qaida im Irak, al-Qaida im Islamischen Maghreb und al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel, wozu  neuerdings noch die syrische Al-Nusra-Front und die nigerianische Boko Haram kommen; der dritte konzentrische Kreis umfaßt die vielen kleinen, eher konspirativ agierenden Zellen der Dschihadisten („Heiligen Krieger“) im Westen, welche in einer mehr oder weniger direkten Verbindung zu den zwei inneren Kreisen stehen, aber auf jeden Fall von diesen inspiriert werden.

In Deutschland waren oder sind hier insbesondere Untergruppen der al- Tawhid und Ansar al-Islam sowie die Islamische Dschihad Union und die Islamische Bewegung Usbekistan aktiv. Dazu kommen gewalttätige Salafistenvereine vor allem in Hessen und Nordrhein-Westfalen wie Millatu Ibrahim, DawaFFM, Islamische Audios und An-Nussrah, die zwar inzwischen allesamt vom Bundesinnenminister verboten wurden, aber im Untergrund weiterexistieren und möglicherweise längst neue Anschläge vorbereiten, nachdem die ersten Anläufe im Dezember 2012 und März 2013 scheiterten.

Die al-Qaida mußte allerdings nicht nur einen strukturellen Wandel vollziehen, sondern benötigte nach dem Tode Osama bin Ladens und aufgrund der propagandistischen Passivität von dessen Nachfolger „Emir“ Aiman az-Zawahiri auch neue Vordenker, um die immer größer werdende Organisation angemessen zu indoktrinieren und auf eine einheitliche Linie einzuschwören. Von diesen Chefideologen des Terrors gibt es derzeit drei: Als besonders einflußreich gilt Mustafa ibn Abd al-Qadir Sethmariam Nasar alias Abu Musab al-Suri, der sich momentan vermutlich in Syrien aufhält. In einem seiner umfangreichsten Strategiepapiere, der 1.600-Seiten-Schrift „Da’wat al-muqawamah al-islamiyyah al-’alamiyyah“ („Aufruf zum weltweiten muslimischen Widerstand“) von Ende 2004, welche mittlerweile als eine Art „Manifest des Heiligen Krieges“ gilt, forderte er die seitdem schon Realität gewordene Hinwendung zum „individuellen“ Dschihad vermittels autonomer Zellen. Damit setzte er sich seinerzeit sogar gegen bin Laden durch, der eher in traditionellen hierarchischen Strukturen dachte. Ebenso plädiert al-Suri neuerdings für Anschläge auf Ölpipelines, weil diese die westliche Wirtschaft am nachhaltigsten zu schädigen vermögen.

Terroristischer Kern unter der salafistischen Schale

Abu Bakr Naji, dessen tatsächliche Identität nach wie vor unklar ist, vertritt gleichfalls die Strategie, symbolische Ziele durch Ziele von ökonomischer und militärischer Bedeutsamkeit zu ersetzen. Darüber hinaus fordert er die Dschihadisten auf, neue Gebiete zu erobern, um in den Besitz weiterer Operationsbasen zu kommen. Hierzu eignen sich seiner Meinung nach besonders Staaten und Regionen der islamischen Welt, in denen die Machtbasis der dortigen „unislamischen“ Herrscher bröckelt, so wie das in Afghanistan vor dem Sieg der Taliban der Fall war.

Und dann wäre da noch der Palästinenser Abu Muhammad al-Maqdisi (Klarname: Isam Mohammad Tahir al- Barqawi), der die Ideologie des Dschihadismus mit der des Salafismus zu verschmelzen versucht, was ihm auch erfolgreich gelingt, wie Reaktionen auf seine Netzauftritte beweisen. Deshalb ist künftig noch stärker damit zu rechnen, daß sich unter der salafistischen Schale ein terroristischer Kern verbirgt – das gilt auch und gerade für Deutschland.

 Peter Wichmann: Al-Qaida und der globale Dschihad. Eine vergleichende Betrachtung des transnationalen Terrorismus. Springer VS, Wiesbaden 2014, broschiert, 409 Seiten, 49,99 Euro

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