© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/14 / 12. September 2014

Jenseits des Alarmismus
Extremismus: Eine Veranstaltung in Potsdam rückt das Verhältnis von Rechts- und Linksextremismus zurecht
Ekkehard Schultz

Wenn es um politisch motivierte Gewalt in der Bundesrepublik geht, ähnelt sich die Berichterstattung in weiten Teilen der Medien meist sehr. Während seit den späten neunziger Jahren für Opfer rechtsextremistischer Straftäter alternative Statistiken angefertigt werden, etwa durch den Tagesspiegel, um damit ein vermeintlich weit höheres Gefahrenpotential zu belegen, wird andererseits permanent vor einem „Hochspielen“ linker Gewalt gewarnt.

So warnte der Zeit-Online-Journalist Christian Bangel jüngst auf einer Veranstaltung des sächsischen Verfassungsschutzes vor „leichtfertigen Vergleichen zwischen rechts und links“, die oftmals in einer „Kriminalisierung von Demokraten“, die sich „gegen Rechtsextremismus engagieren“, enden würden.

Die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik sprechen indes eine andere Sprache. Danach stieg 2013 in Deutschland die politisch motivierte Kriminalität aus dem linken Spektrum um 40,1 Prozent, während sich die politischen Straftaten „von rechts“ um 3,3 Prozent verminderten. Unzweifelhaft sind diese Angaben interpretationsbedürftig, und eine Straftat mit der anderen gleichzusetzen, wäre mit Sicherheit fahrlässig. Aber spiegeln die Zahlen nicht dennoch einen gesellschaftlichen Trend wider? Um diese Frage kreiste in der vergangenen Woche eine Veranstaltung in der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung.

Ohne Propagandadelikte relativiert sich vieles

Dabei machte der Politikwissenschaftler Rudolf van Hüllen darauf aufmerksam, daß für „einen Alarmismus beim Thema Politische Gewalt und Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland“ keinerlei Grund bestehe. Schon seit vielen Jahren bewegten sich die absoluten Zahlen politischer Gewalt im Vergleich zu vielen anderen Regionen der Welt in Deutschland auf einem sehr niedrigen Niveau. Ziehe man die Propagandadelikte ab, für die wegen fehlender strafrechtlicher Regelungen auf linker Seite kein entsprechendes Pendant bestehe, käme man 2011 auf insgesamt 4.915 Straftaten mit rechter politischer Motivation; davon seien 755 Gewalttaten. Im gleichen Jahr wurden 4.502 Straftaten von links registriert, davon 1.157 Gewalttaten. 2012 wurden von rechts 4.915 Straftaten (802 Gewalttaten) erfaßt, von linker Seite 3.229 Straftaten (876 Gewalttaten). Gehe man von rund 6.000.000 Delikten pro Jahr in der Bundesrepublik aus, dann bewege sich der Anteil der politisch motivierten Kriminalität im „unteren Promillebereich“, so van Hüllen.

Gleichwohl machte er auf Entwicklungen aufmerksam, die Demokraten durchaus „Anlaß zur Sorge“ geben könnten: Dies sei vor allem das Aufbrechen des früheren „linken Ehrenkodexes“, nach dem sich Gewalt in erster Linie gegen Sachen zu richten habe. Inzwischen habe der Wille zur bewußten Schädigung von Personen stark zugenommen, was sich insbesondere in regelrechten Exzessen gegen Polizeibeamte zeige. Allerdings sei dabei zu beachten, daß besonders intensive Gewalt oft von Personen ausginge, deren Teilnahme an den Ausschreitungen in erster Linie „eventbezogen“ sei.

„Keine seriöse Literatur zum Linksextremismus“

Auch der Leiter des Verfassungsschutzes in Brandenburg, Carlo Weber, warnte davor, das Problem politischer Gewalt zu dramatisieren. In Brandenburg sei bereits seit längerem eine „allgemeine Verbürgerlichung“ zu beobachten, was nicht zuletzt auf den Erfolg von Programmen zur Gewaltprävention zurückzuführen sei. Dies zeige sich etwa darin, daß das in den vergangenen Jahren in Teilen der Gesellschaft wieder wachsende Gefühl, daß „die Welt nicht mehr in Ordnung“ sei, im Regelfall dennoch nicht in Gewalt münde. Dies stehe in einem deutlichen Gegensatz zu den neunziger Jahren, so Weber.

Dagegen wollte Sebastian Walter von der Linkspartei in den statistischen Zahlen vor allem „eine Diskriminierung gesellschaftlicher Akteure“ erkennen, die sich gegen Rechtsextremismus engagierten. Es sei „ein Skandal“, daß auch die Teilnehmer von „Sitzblockaden gegen Nazis“ damit erfaßt würden, sofern sie sich etwa weigerten, den polizeilichen Anweisungen unverzüglich zu folgen. Ebenso würden Akteure wie der Jugendverband seiner Partei „solid“ immer noch durch den Verfassungsschutz einzelner Länder „kriminalisiert“. Dabei bräuchte man zur Feststellung von rechter Gewalt „weder die statistischen Angaben der Polizei noch den Verfassungsschutz“ als solchen, so Walter. Denn über dieses Thema wüßten „linke Antifa-Gruppen weit besser und genauer Bescheid“.

Den Vorwurf des Linken-Politikers, grundsätzlich „unwissenschaftlich“ zu arbeiten, da es „keine seriöse Literatur über Linksextremismus“ gäbe, wiesen sowohl van Hüllen als auch Weber zurück. So werde das theoretische Fundament der Arbeit des Verfassungsschutzes „stets an die aktuelle Forschungslage und an die Ergebnisse von universitären Studien auf Landes- und Bundesebene angepaßt“, erklärte Weber.

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