© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/14 / 12. September 2014

Im roten Bereich
Thüringen: Am Sonntag wird im Freistaat gewählt / Wer dort künftig regiert, entscheiden wohl letztlich die Mitglieder der SPD
Paul Leonhard

Kurz vor den Landtagswahlen zeigt sich die CDU in Thüringen versöhnlich, was ihren bisherigen Koalitionspartner SPD betrifft. „Die fünf gemeinsamen Jahre waren nicht immer einfach, aber am Ende erfolgreich“, läßt sich Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht zitieren. Die Landespartei hat ihr Wahlprogramm so zugeschnitten, daß es nur wenige Grundsätze gibt, die die Sozialdemokraten nicht mittragen könnten.

Auch die Bilanz des Freistaates kann sich sehen lassen. Thüringen hat mit 7,5 Prozent die niedrigste Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern und die höchste Beschäftigungsquote bei der Generation 50 plus. Zwischen 2009 und 2013 ist das Bruttoinlandsprodukt um 8,6 Prozent gewachsen und die Löhne um 12,9 Prozent. Beides sind die besten Werte deutschlandweit. Auch verweist die CDU auf eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, nach der Thüringen das gerechteste Bildungssystem habe. Elf Milliarden Euro wurden seit 1990 in die Verkehrsinfrastruktur gesteckt. Sogar ein kleiner Teil der Schulden konnte getilgt werden.

Nicht umgesetzt wurden die angestrebte Verjüngung der Lehrerschaft und die Kreisgebietsreform. Zwei Themen, die der SPD wichtig sind. Wenn die CDU jetzt in der Bildungspolitik Akzente setzen möchte, indem sie ihren Anspruch auf das bisher SPD-geführte Kultusministerium artikuliert, dürfte das zu der Verhandlungsmasse gehören, auf die man notfalls zugunsten der SPD zu verzichten bereit ist.

Während Lieberknecht keinen Zweifel daran läßt, daß sie – wie übrigens laut einer Umfrage 46 Prozent der Wähler auch – das bisherige Bündnis mit der SPD fortsetzen möchte, liebäugeln die Sozialdemokraten noch immer mit den SED-Nachfolgern, der traditionell zweitstärksten politischen Kraft Thüringens. Diese wiederum würden gern die Grünen im Fall einer Regierungsbildung zusätzlich ins Boot holen. Mit der SPD gebe es Differenzen beispielsweise bei der Massentierhaltung, mit den Grünen beim Thema freie Schulen, sagt Linkspartei-Spitzenkandidat Bodo Ramelow, der als erster in seiner Partei Ministerpräsident werden möchte.

Linkspartei mit zwei ehemaligen Stasi-Spitzeln

An einer von der Linken geführten rot-roten Koalition könnte die Thüringer SPD jedoch zerbrechen. Vor allem die ältere Generation, die noch zu DDR-Zeiten die SPD in der Illegalität wiedergegründet hatte, wehrt sich gegen eine mögliche Zusammenarbeit mit den SED-Nachfolgern. Zwar versicherte Ramelow im Neuen Deutschland, daß sich die Linke „mit dem Thema Unrecht in der DDR“ auseinandersetze. Wie das praktisch zu verstehen ist, verdeutlicht ein Blick auf die Listenkandidaten. Hier sind mit Ina Leukefeld und Frank Kuschel mindestens zwei ehemalige Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit zu finden, deren Wiedereinzug in den Landtag als gesichert gelten kann. Einige SPD-Mitglieder fürchten sogar, Kuschel könne Innenminister in einem Kabinett Ramelow werden.

Ehemalige DDR-Oppositionelle und Bürgerrechtler warnen in einem von der Welt veröffentlichten Aufruf vor einem möglichen Wahlausgang, bei dem „erstmals die Linke – mit Hilfe einer sich von ihren demokratischen Grundsätzen verabschiedenden Steigbügelhalter-SPD – in Regierungsverantwortung gehievt wird“. Aber nicht nur Ewiggestrige will die Linke in den Landtag schicken, sondern mit Ercan Ayboga, Direktkandidat im Wahlkreis Weimarer Land, auch den Vorsitzenden des „Kulturvereins Mesopotamien“. Dieser soll zum „Umfeld einer als terroristisch eingestuften Organisation“, nämlich der kurdischen Arbeiterpartei PKK gehören, schreibt die Thüringer Allgemeine.

Aktuell versucht die CDU vor allem, die Wähler zu mobilisieren. Man werbe für eine hohe Wahlbeteiligung, so Lieberknecht. Um diese zu erreichen, läßt der öffentlich-rechtliche Mitteldeutsche Rundfunk nahezu ununterbrochen Menschen zu Wort kommen, die für einen Urnengang plädieren. Gleichzeitig wird die Alternative für Deutschland (AfD) als „extrem“, „populistisch“ und „gefährlich“ diskreditiert. Eine Koalition mit der neuen politischen Kraft hat Lieberknecht frühzeitig ausgeschlossen. Offensichtlich vertritt die AfD aus ihrer Sicht zu viele frühere CDU-Positionen.

Die jüngsten Prognosen gehen davon aus, daß die CDU mit 36 Prozent in der Wählergunst gegenüber der Wahl von 2009 leicht zulegt. Die Linkspartei und die SPD würden 26 (27,4) und 16 (18,5) Prozent erhalten, die AfD acht und die Grünen sechs Prozent. Keine Chance auf einen Einzug in den Erfurter Landtag geben die Wahlforscher derzeit den Liberalen, der NPD und den Freien Wählern.

Wer künftig in Thüringen regiert, dürften letztlich weniger die 1,84 Millionen Wahlberechtigten entscheiden, als vielmehr ein paar tausend Sozialdemokraten. Denn die SPD will ihre rund 4.500 Mitglieder nach dem 14. September in einem Basisentscheid über die mögliche Koalition abstimmen lassen.

Foto: Ministerpräsidentin Lieberknecht, Herausforderer Ramelow: Für wen entscheidet sich die SPD?

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