© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/14 / 12. September 2014

„Wirklichkeitsnahe Ängste“
Umfrage: Die Mehrheit der Deutschen befürchtet, für die Kosten der Euro-Schuldenkrise zur Kasse gebeten zu werden
Alexander Heimeran

Die Sorge, daß der Steuerzahler die Kosten der Euro-Rettung tragen muß, überflügelt seit Jahren alle anderen Ängste der Deutschen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der R+V-Versicherung, die vorige Woche in Berlin vorgestellt wurde. Für die Langzeitstudie werden seit mehr als 20 Jahren jährlich rund 2.400 Bürger ab 14 Jahren nach ihren größten wirtschaftlichen, politischen und persönlichen Ängsten befragt.

Zwar lägen 2014 die Ängste der Deutschen der Studie zufolge auf dem niedrigsten Niveau seit zwanzig Jahren, dennoch bedrücke die Bundesbürger die Angst ums Geld, die Umwelt und die eigene Gesundheit. „Die Mehrheit der Deutschen befürchtet, daß die Euro-Schuldenkrise die Steuerzahler teuer zu stehen kommt und die Lebenshaltungskosten weiter steigen“, so Rita Jakli, Leiterin des R+V-Infocenters.

Jeder zweite habe große Angst vor zunehmenden Naturkatastrophen – gemeint sind vor allem Überschwemmungen, Unwetter, Orkane – und davor, im Alter auf Pflege angewiesen zu sein. Die Befragten belasteten ferner besonders die Angst vor einer schweren Erkrankung (47 Prozent), die Überforderung der Politiker (44 Prozent), Spannungen durch Ausländer (43 Prozent) und eine allgemein schlechte Wirtschaftslage (41 Prozent).

In Berlin, wo laut Studie die zuversichtlichsten Deutschen leben, rangiert die Sorge vor einwanderungsbedingten Spannungen sogar mit 47 Prozent auf Platz zwei der großen Ängste, nur übertroffen von steigenden Lebenshaltungskosten. Letztere stehen bei den Deutschen insgesamt auf Platz eins – zum 15. Mal seit dem Beginn der Studie.

„Sie leisten sich ein eigenes Urteil“

Die finanziellen Bedenken der Befragten hätten reale Ursachen, wie der Heidelberger Politologe Manfred G. Schmidt bei der Vorstellung der Studie betonte: „Der weit ausgebaute Sozialstaat und der anspruchsvolle Umweltschutz in Deutschland fordern ihren Tribut und verknappen das verfügbare Einkommen vor allem durch hohe Sozialabgaben und Steuern sowie durch steigende Gebühren für Strom, Gas, Wasser und Abfallbeseitigung.“

Die Bürger registrierten sehr aufmerksam, daß nicht nur die steigenden Nahrungsmittelpreise zu den hohen Lebenshaltungskosten beitrügen. Gleichzeitig seien die Hauptgründe für die Teuerung, eine ehrgeizige Umweltpolitik – Stichwort Energiewende – und umfangreiche Sozialleistungen, von breiter gesellschaftlicher Zustimmung getragen. Die Alterung der Bevölkerung mit einer Seniorenquote von aktuell 20 Prozent führe künftig zu weiteren Kostensteigerungen bei den sozialen Sicherungssystemen.

Die Sorge um die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung sank, obgleich auf Platz sieben der großen Ängste, am stärksten – um ganze 9 Prozent im Vergleich zu Vorjahr. „Der Wirtschaft geht es besser als der eigenen Lohnentwicklung“, spitzte Jakli diese Beobachtung bewußt zu. Daß die Befragten außerdem den Euro gegenüber 2013 als deutlich weniger gefährdet ansehen (immerhin noch 45 Prozent), steht nur scheinbar im Widerspruch zur Angst vor den Kosten der Euro-Rettung.

Offensichtlich gibt man sich keinen Illusionen hin, daß die Politik alles in Bewegung setzt, um den Euro zu retten – um jeden Preis und auf Kosten des Steuerzahlers. Die Bürger merkten, so Schmidt, daß Deutschland für große Summen hafte, aber gemessen daran personell wenig Einfluß auf europäische Institutionen, etwa die EZB, habe.

Weitgehend gelassen blieben die Befragten hingegen im Hinblick auf die Ukraine-Krise: Mit einer Angst vor militärischen Konflikten zwischen Rußland und dem Westen trugen sich 37 Prozent. Obwohl die Befragung im Juni und Juli stattfand, also vor der Verschärfung der Gefechte im Osten des Landes, wäre die Grundstimmung heute wohl ähnlich, mutmaßte Schmidt.

Gleichwohl sorgt sich jeder dritte um Krieg und politische Krisen, die Furcht vor einem Krieg mit deutscher Beteiligung zählt zu den wenigen Ängsten, die dieses Jahr leicht gestiegen sind (um 3 Prozentpunkte auf 35 Prozent). Ebenfalls gestiegen ist die Angst vor Straftaten (plus 2 Prozentpunkte auf 26 Prozent) und vor Spannungen durch Ausländer (plus 1 Prozentpunkt auf 43 Prozent). Der Politologe widersprach der Einschätzung, die Deutschen seien ein Volk von Angsthasen.

Vielmehr handele es sich um „wirklichkeitsnahe Ängste“ und „berechtigte Sorgen“. Von „German Angst“, also einer übertriebenen, typisch deutschen Sorge, die im angelsächsischen Sprachraum gern bemüht werde, könne deshalb keine Rede sein. Die Bürger merkten, daß sie die Hauptlast der Euro-Schuldenkrise zu tragen hätten. „Sie leisten sich ein eigenes Urteil.“

Foto: Angstmacher Euro: Die Bürger ahnen mehr von den kommenden Belastungen, als den Politikern lieb ist

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