© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/14 / 12. September 2014

Das Herz schlägt im Ja-Takt
James Bond gegen Harry Potter: Nächste Woche entscheidet Schottland über die Unabhängigkeit
Silke Lührmann

Wer in den vergangenen Wochen und Monaten die Debatte in den britischen Medien verfolgt hat, könnte leicht den Eindruck gewinnen, daß es bei der Volksabstimmung am 18. September über die Unabhängigkeit Schottlands lediglich um die Auflösung einer dreihundert Jahre alten Wirtschafts- und Währungsunion geht.

Von gelegentlichen Appellen an den Zauber des Neuanfangs respektive die stolzen Errungenschaften der gemeinsamen britischen Geschichte abgesehen, führen beide Seiten – die Separatisten um die Scottish National Party (SNP) unter Parteichef und First Minister (Ministerpräsident) Alex Salmond ebenso wie die Parteigänger der „Better Together“-Kampagne – vornehmlich Argumente ins Feld, die von knallhartem Kalkül geprägt sind: die Kosten der Unabhängigkeit für den schottischen Normalverbraucher; die Abhängigkeit von englischen Fördertröpfen; die Kaufkraft des britischen Pfund im Vergleich zu den denkbaren Alternativen; der Ausverkauf schottischer Ländereien und Gewässer an multinationale Großkonzerne; die von der Koalitionsregierung in Westminster in die entferntesten Winkel des noch Vereinigten Königreichs ausstrahlende sozial(politisch)e Kälte; die Sorge um die finanzielle Zukunft der Kinder; die mit jedem noch so friedlichen Regimewechsel verbundenen Risiken und Unwägbarkeiten. Solche Themen scheinen trotz aller emotionalen Aufladung wenig geeignet, die Herzen der gut 700.000 Stimmberechtigten zu entflammen.

Die Umfrageergebnisse, die gut eine Woche vor dem Referendum einen äußerst knappen Ausgang prognostizieren, sind um so bemerkenswerter, als einiges darauf hindeutet, daß nicht wenige mit dem Kopf „Nein“ stimmen werden, auch wenn das Herz noch so laut „Ja“ schlägt: Von der Finanzkrise und den rabiaten staatlichen Sparmaßnahmen geläutert, scheinen viele Briten – ob in England, Wales, Schottland oder Nordirland – weniger denn je geneigt, sich auf Experimente oder gar Wagnisse einzulassen.

Daß Schottland die britische Kultur nicht nur um folkloristische und kulinarische Eigentümlichkeiten vom Dudelsack und Schottenrock bis zum fritierten Schokoriegel – der Legende zufolge eine Kreation eines Fish & Chips-Imbiß in Stonehaven bei Aberdeen – bereichert hat, ist auf beiden Seiten des (einst von den Römern zum Schutz vor den widerspenstigen Kelten im Norden errichteten) Hadrianswalls unbestritten. Die Philosophen der schottischen Aufklärung haben die politische Landschaft ebenso nachhaltig geprägt wie der im 15. Jahrhundert in St. Andrews entstandene Golfsport die weitläufigen Grasflächen ganz Großbritanniens.

Ob dies eher für eine gemeinsam gestaltete Zukunft oder für einen schottischen Sonderweg spricht, auch an dieser Frage scheiden sich die Geister. Kein Wunder also, daß auch die schottische Kulturprominenz in zwei Lager gespalten ist: So treten „Harry Potter“-Schöpferin Joanne K. Rowling, „Doctor Who“-Star David Tennant und der legendäre langjährige Manchester-United-Trainer Alex Ferguson entschieden für ein „Nein“ ein, während „Trainspotting“-Autor Irvine Welsh und Robbie Coltrane, der die Titelrolle in „Für alle Fälle Fitz“ spielte, ebenso nachdrücklich „Ja“ sagen.

Einer, dem die Unabhängigkeit seit jeher einen hohen Preis wert war, ist der Vollblut- und Vorzeige-Schotte Sean Connery, dessen Name regelmäßig auf Ranglisten der „größten lebenden Schotten“ ganz oben auftaucht. Sir Sean, der am 25. August seinen 84. Geburtstag begehen konnte, ist bekennendes SNP-Mitglied und unterstützte die Partei bereits in den 1990er Jahren mit monatlichen Spenden von mehreren tausend Pfund: Gelder, die er unter anderem als Geheimagent in den Diensten ebenjener Majestät erspielt hatte, unter deren Herrschaft Schottland nach dem Willen der SNP auch nach der Unabhängigkeit verbleiben würde, während die schottischen Grünen und Sozialisten noch einen Schritt weitergehen wollen und eine Republik Schottland befürworten. Den Treueschwur „Scotland Forever“ ließ er sich schon als blutjunger Marinekadett in die Haut tätowieren.

Wie viele seiner Landsleute suchte der Sohn eines Fabrikarbeiters und einer Putzfrau sein Glück in England und verließ mit Anfang Zwanzig das heimische Edinburgh. Auf kleinere Rollen in Theater- und Fernsehproduktionen folgte der internationale Durchbruch als Hauptdarsteller in „Dr. No“ (1962), der ersten „James Bond“-Verfilmung. Als er 1983 auf der Höhe seines Ruhms bei einem Besuch in Edinburgh eine alte Stammkneipe betrat und der anwesenden Klientel verkündete: „Ich bin wieder zurück!“, soll ein unbeeindruckter Saufkumpan erwidert haben: „Wieso, wo warst du denn?“

Selbst er, dem die Rolle des glühenden Patrioten, des unzeitgemäßen Nationalhelden doch regelrecht auf den Leib geschrieben schiene, argumentiert dieser Tage – aus Altersweisheit oder Ernüchterung? – eher pragmatisch. Nach der im Anschluß an den Volkentscheid von 1997 erfolgten Gründung des schottischen Parlaments sei die Unabhängigkeit nun „eine Chance, die man sich nicht entgehen lassen darf“, so Connery in seiner Unterstützungserklärung für Salmonds Kampagne.

„Als jemand, der sowohl Schottland als auch die Künste liebt“, beschwört er den „schöpferischen Akt“ des Nation-building sowie den zu erwartenden Aufschwung der schottischen Film- und Kulturindustrie: „Mehr als alles andere definiert die Kultur das Wesen eines Landes. Sie sorgt für internationale Wahrnehmung und stimuliert weltweites Interesse an einer Nation viel mehr, als die Politik oder Wirtschaft es je könnte. Insofern ist Schottland wahrhaftig gesegnet: mit unserer schillernden Geschichte, starken Identität, tief verwurzelten Traditionen, unserer Verpflichtung zur künstlerischen Innovation und unserer landschaftlichen Vielfalt und Schönheit.“

Am kommenden Donnerstag werden weder Exil-Schotten wie Connery, der auf den Bahamas lebt, noch die Politiker in Edinburgh und London über das Schicksal Schottlands bestimmen, sondern alle britischen Staatsbürger sowie Bürger der übrigen Commonwealth- und EU-Mitglieder ab 16 Jahren, die ihren ersten Wohnsitz in Schottland haben: jene Männer und Frauen also, die tagtäglich mit den Folgen dieser Entscheidung leben müssen. Die Demokratie ist keine schottische Erfindung, aber ein Import, auf dessen Hege und Pflege man stolz sein darf.

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