© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/14 / 12. September 2014

Englisch als Lehrsprache in der Wissenschaft
Zu unser aller Schaden
Thomas Paulwitz

Deutschland schafft seine Sprache ab. „Mit jeder fachlichen Domäne, die dem Englischen geopfert wird, geht ein Stück Universalität verloren“, warnt der Erlanger Sprachwissenschaftler Horst Haider Munske. Gehe die Entwicklung so weiter, dann verkümmere die deutsche Sprache zu einem Dialekt des Englischen.

Leider ist Munske kein notorischer Schwarzseher, sondern nüchterner Realist. Wir müssen also besonders alarmiert sein, wenn die Welle der Deutschverdrängung auch die nationalen Horte des Wissens, unsere Hochschulen und Universitäten, trifft. Wenn dort Deutsche mit Deutschen auf englisch sprechen, läuft etwas gewaltig schief.

Der Aufklärung verdanken wir, daß Deutsch vor 300 Jahren zur Wissenschaftssprache aufstieg. Bildung sollte für alle zugänglich sein. Die Gelehrtenwelt sollte sich nicht länger von der Alltagswelt abkoppeln. Der Gebrauch der Muttersprache auch im Fachwortschatz sollte der Anschaulichkeit und der Verständlichkeit dienen. Am 31. Oktober 1687 war es ein ungeheuerlicher Vorgang, als Christian Thomasius an der Leipziger Universität zur Vorlesung auf deutsch einlud. Die eingesessene Professorenschaft war entsetzt. Es war noch ein harter Kampf, bis sich schließlich Deutsch in Deutschland als Wissenschaftssprache durchsetzen sollte.

Wir bilden Studenten aus, die ihr Fach nicht auf deutsch erklären können und nach ihrem Abschluß oft ins englischsprachige Ausland abwandern. Nutznießer sind nicht deutsche Mittelständler, sondern internationale Großunternehmen.

Die Technischen Universitäten von München, Zürich und Graz verachten dieses Erbe der Aufklärung. Sie verdrängen die deutsche Sprache wieder aus der Wissenschaft und wechseln schrittweise zur alleinigen Einheitssprache Englisch. Wolfgang Herrmann, Präsident der TU München, erklärte Mitte Juli, daß die Universität bis zum Jahr 2020 die Unterrichtssprache in den Master-Studiengängen auf Englisch umstellen werde. Die TU München erhält aus der „Exzellenz-Initiative“ der Bundesregierung bis zum Jahre 2017 rund 150 Millionen Euro.

Dieses Geld muß unter anderem auch zur „Internationalisierung“ verwendet werden, sprich zur Amerikanisierung. Die Zahl der deutschen Professoren wird in der Folge systematisch verringert. Auch die Zahl der deutschen Studenten wird schwinden, zumal kaum ein deutscher Abiturient das notwendige Fach-Englisch mitbringt – eine Bankrotterklärung des deutschen Bildungssystems.

Für die Amerikanisierung der Technischen Universität Graz verteilt der österreichische Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner Sondermittel. Innerhalb der nächsten Jahre sollen alle Master-Studiengänge nur noch auf englisch angeboten werden. Rektor Harald Kainz gibt an: „Zwei Drittel unserer Absolventen sind später beruflich entweder im Ausland tätig oder haben dort zu tun.“ Man versteht sich also als Zulieferstätte für das englischsprachige Ausland. Auch Graz will immer mehr auf einheimische Professoren und Studenten verzichten. „Wir haben bereits gesehen, daß sich die Zahl der Bewerber aus dem englischsprachigen Ausland verdoppelt“, so Kainz.

Mit unseren Steuern fördern wir also, einheimische Studenten von unseren Universitäten fernzuhalten. Unsere Volkswirtschaften bilden Studenten aus, die ihr Fach nicht auf deutsch erklären können und nach ihrem Abschluß oft ins englischsprachige Ausland abwandern. Nutznießer ist nicht der deutsche Mittelstand, das Rückgrat der Wirtschaft, wo vorwiegend auf deutsch gearbeitet wird. Statt dessen profitieren bestenfalls internationale Großunternehmen, die keine Bindung an Deutschland haben.

Wohlgemerkt geht es längst nicht mehr nur darum, mit Hilfe von Englisch nationale Forschungsergebnisse der internationalen Wissenschaftsgemeinde zugänglich zu machen; vielmehr soll das ganze Denken und Lehren in der Einheitssprache Englisch ablaufen. Studien zeigen, daß sich eine Lehre, die nicht in der Muttersprache gehalten wird, qualitativ verschlechtert. Außerdem verstehen sie die Studenten schlechter. Mit der Einheitssprache Englisch schaden wir also der Vermittlung von Bildung. Dagegen müssen wir uns wehren.

Wie Widerstand wirken kann, zeigt ein Blick über die Alpen. 2012 hatte die Technische Universität Mailand beschlossen, in Lehre und Prüfungen sämtlicher weiterführender Studiengänge und Doktorandenprogramme nur noch Englisch zuzulassen. Dagegen hatten etwa 100 Lehrer und Studenten geklagt und – gewonnen. Das zuständige Verwaltungsgericht der Lombardei hob am 26. März 2013 den Beschluß wieder auf, weil er gegen die italienische Verfassung verstößt. Machen wir es den mutigen Mailänder Studenten nach!

 

Thomas Paulwitz, Jahrgang 1973, studierte Politik, Geschichte und Biologie in Erlangen. Im Jahr 2000 gründete er die Zeitschrift Deutsche Sprachwelt, arbeitet seither als ihr Chefredakteur und machte sich als Sprachpfleger einen Namen. 2006 erhielt er den Gerhard-Löwenthal-Preis für Journalismus.

Foto: Anglisierung der Studiengänge – Türöffner oder Zuschließer? Anpassung an Notwendigkeiten wissenschaftlicher Vernetzung und wirtschaftlicher Verflechtung oder folgenschwere Verleugnung des Eigenen?

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