© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  38/14 / 12. September 2014

Von der verlorenen Kunst des Friedenschließens
Sieger oder Strafrichter: Stephan Elbern reflektiert über die diplomatische Fähigkeit, in der Neuzeit Kriege zu beenden
Matthias Bath

Krieg und Frieden sind die Aggregatzustände der Politik. Ihre Kunst besteht darin, im Interesse der Menschen und Völker mit diesen beiden Aggregatzuständen pfleglich umzugehen, den Frieden möglichst dauerhaft zu erhalten und den Krieg nach Möglichkeit einzuhegen.

Stephan Elberns neues Buch befaßt sich vor diesem Hintergrund mit Friedensschlüssen von der Zeit des alten Orients bis zum Frieden von Camp David (1978). Der Verfasser kommt zum Schluß, daß im Laufe des letzten Jahrhunderts die diplomatische Kunst, Kriege durch ein Abkommen zu beenden, das sowohl dem eigenen Vorteil als auch der Rückkehr zu normalen völkerrechtlichen Beziehungen dient, weitgehend verlorengegangen sei.

Solange überwiegend monarchische Staaten gegeneinander Krieg führten, blieb der gegenseitige Respekt der Kriegführenden erhalten. Die Verschwägerung nahezu aller Dynastien ließ ohnehin nur selten Erbitterung oder persönliche Abneigung aufkommen; man führte gleichsam Krieg in der eigenen Familie. Lediglich religiös oder sozial bedingte Kriege folgten anderen Gesetzen. Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges (1648) suchte man dann auch – zunächst erfolgreich – den Krieg zu „domestizieren“. Seitdem folgten die Kampfhandlungen festen Regeln, die im allgemeinen eingehalten wurden. Die Zivilbevölkerung war weitgehend vor Übergriffen geschützt.

Erst mit der Französischen Revolution und den Napoleonischen Kriegen kam zunehmend Haß zwischen den Kriegführenden auf. Zu einem systematischen Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung kam es dann wieder im ideologisch geprägten Amerikanischen Bürgerkrieg, bei dem die siegreichen Nordstaaten die blühende Kultur und Zivilisation der Südstaaten weitgehend vernichteten. Dieser Krieg war zugleich die Blaupause aller künftigen US-Kriege, verbunden mit rücksichtslosem Verhalten gegenüber schutzloser Zivilbevölkerung, der Forderung nach „bedingungsloser Kapitulation“ und der Kriminalisierung des unterlegenen Kriegsgegners.

Auch in Europa steigerte sich im Zeitalter des Nationalismus der gegenseitige Völkerhaß in erschreckendem Maße. Hinzu kamen spätestens seit der bolschewistischen Oktoberrevolution 1917 ideologische und damit religionsähnliche Gegensätze, die ein friedliches Nebeneinander unmöglich machten. Mit dem „ Klassenfeind“ waren ebenso wie mit den „Rassenfeind“ oder dem „Feind der Demokratie“ keine normalen Beziehungen zu pflegen.

Damit wurde aber nicht die Wiederherstellung des Friedens, sondern die Vernichtung oder zumindest „Bestrafung“ des Gegners zur Hauptsache der „modernen Glaubenskriege“. Zugleich ging damit aber auch die politische und diplomatische Kunst dauerhafter und gerechter Friedensschlüsse verloren. Denn ein einvernehmliches Miteinander ist nur dann möglich, wenn man den Vertragspartner als gleichberechtigt ansieht und auch ihm le­gitime Interessen zubilligt.

Bestes Beispiel für einen derartigen ungerechten Nichtfriedensschluß ist der Vertrag von Versailles 1919, der eine wichtige Ursache für den Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland und den verheerenden Zweiten Weltkrieg setzte. Auch der Friedensvertrag zwi­schen den USA und dem besiegten Japan von 1952 gab Japan nur scheinbar seine volle Souveränität zurück. Die Weitergeltung der „UN-Feindstaatenklausel“ und die Sonderrechte der weiter in Japan stationierten US-Truppen zeigen die Grenzen japanischer Souveränität nur allzu deutlich auf. So können US-Soldaten von keinem japanischen Gericht belangt werden. Bis heute kommt es hier immer wieder zu sexuellen Übergriffen auf einheimische Frauen und Mädchen, die straflos bleiben.

Mit den meisten ihrer Kriegsgegner hatten die Alliierten bereits 1947 in Paris Frieden geschlossen. 1955 gab ein Staatsvertrag Österreich seine Freiheit zurück. Nur Deutschland wartet noch heute auf ein Friedensabkommen – fast 70 Jahre nach Kriegsende. Auch gegenüber Deutschland gilt die „Feindstaatenklausel“ weiter. Was die 1990 dem vereinten Deutschland zurückgegebene „volle Souveränität“ wert ist, zeigt sich gerade aktuell an der Ausspähung durch die US-Geheimdienste, die Deutschlands fehlende Gleichwertigkeit aus US-Sicht gnadenlos offenlegt.

Entstanden ist ein historisches Lesebuch mit erfrischend zeitkritischen Anmerkungen, das jedem Geschichtsinteressierten empfohlen werden kann.

Stephan Elbern: Frieden – eine verlorene Kunst. Von Kadesch bis Camp David. Nünnerich­ Asmus Verlag, Mainz 2014, gebunden, 200 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro

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