© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/14 / 19. September 2014

Äppel Wotsch
Elektronikmarkt: Das US-Unternehmen Apple gilt als eines der innovativsten der Welt – und erfindet eine Uhr
Markus Brandstetter

Elektronische Lifestyle-Fußfessel, mobile Abhörwanze, perfektes Datenüberwachungsgerät, retroeskes Handaufzugs-Accessoire und neoliberaler Traum – der Feuilletonist der linken Frankfurter Rundschau, Christian Schlüter, überschlägt sich mit spitzen Gehäßigkeiten über den jüngsten „Snobismus“ aus Cupertino: die Apple Watch. Anders als die Schweizer Swatch AG bietet der nach Samsung und Google profitabelste und größte Elektronikhersteller der Welt nicht einfach eine bunte Uhr an, sondern einen Minicomputer fürs Handgelenk.

Alles, was eine traditionelle Uhr ausmacht, ist vorhanden: Zifferblatt, Zeiger, schöne, wertig aussehende Gehäuse und eine Krone, über welche die Uhr gesteuert wird – aber das Anzeigen der Zeit scheint eher eine untergeordnete Funktion. Die Apple Watch ermöglicht den direkten Zugriff auf das Internet und damit auf Facebook, Twitter, SMS-Nachrichten, E-Mails und Landkarten. Über „Apps“, jene kleinen Softwareprogramme (engl. Abkürzung für „Anwendungen“), die Steve Jobs iPhone zum Durchbruch verholfen haben, werden Hunderte, vielleicht Tausende von Sonderfunktionen zur Verfügung stehen.

Ganz wie ein Fitneß-Armband kann die Uhr die am Tag zurückgelegten Schritte zählen, den Puls und die Zeit messen, während derer ihr Träger inaktiv war, und ihm irgendwann sogar signalisieren, er solle jetzt wieder ein paar Meter gehen, um gesund zu bleiben. Ein Diktiergerät, das Text in Worte umsetzt, darf ebenso nicht fehlen wie ein Navigationsgerät, damit der Besitzer sich in fremden Städten und im Hochgebirge zurechtfindet. Der Coup: Die Uhr kann zum elekronischen Bezahlen eingesetzt werden. Niemand sollte sich daher wundern, wenn demnächst Leute wie der US-Fernsehheld der 1980er Jahre, „Knight Rider“ (David Hasselhoff), mit ihrem Auto über eine Uhr kommunizieren.

Der größte Nachteil liegt im horrenden Stromverbrauch des Wunderwerks: Der Akku, soviel hat Apple bereits eingestanden, hält genau einen Tag lang, dann muß er zum Aufladen. Eine gravierende Einschränkung von Mobilität, denn auf Reisen, beim Wandern und im Urlaub, fernab von Steckdosen und Zivilisation, kann die Apple Watch also nach einem Tag nicht einmal mehr die Uhrzeit anzeigen. Auch die Tatsache, daß jeder Käufer der Apple Watch mindestens ein iPhone 5 besitzen muß, weil Uhr und iPhone nur im Tandem funktionieren, wird manchem sauer aufstoßen. Apple-Kunden wissen längst, daß bei Apple alles Geld kostet und sie über hohe Preise, technische Inkompatibilitäten mit Fremdprodukten und Gebühren auf alles über Jahre bei der Stange gehalten und während dieser Zeit kräftig gemolken werden sollen.

Endlich der Preis: Apple-Chef Tim Cook hat als Preis für das Einstiegsmodell der intelligenten Uhr 349 US-Dollar genannt. Da Apple seine Dollar-Preise meist eins zu eins in Euro umrechnet, könnte das auch der Preis in Europa sein. Damit lägen die Kalifornier im mittleren Markt-Segment. Rechnet man aber die Koppelung mit dem iPhone, die laufenden Gebühren für Apps und deren Benutzung, das dauernd erforderliche Aufladen und mindestens einen neuen Akku während der Lebenszeit einer solchen Uhr dazu, könnte die Sache für den Nutzer ganz schön teuer werden.

Die Frage stellt sich: Gibt es tatsächlich Millionen Menschen auf der Welt, die sich das antun wollen und werden? Denn Millionen Kunden müssen es sein, wenn das kalifornische Elektronik-Unternehmen seinen Spitzenplatz in der Welt auch zukünftig verteidigen will. Kann Apple mit seiner Uhr in der seit Jahrzehnten fest etablierten und aufgeteilten Welt großer, bekannter und exklusiver Uhrenmarken Fuß fassen und sich einen Teil dieses Kuchens abschneiden?

Zweites Standbein neben dem iPhone gesucht

Apple hat drei Jahre Entwicklung und Millionen an Kosten in die neue Uhr gesteckt. Das zeigt, für wie wichtig die Geschäftsleitung dieses Produkt einschätzt. Denn Apple verdient zwar noch prächtig – mit dem doppelten Jahresumsatz von Siemens erwirtschaftet man den zehnfachen Vorsteuergewinn des deutschen Unternehmens –, aber damit kann es schnell vorbei sein. Der finnische Elektronik-Gigant Nokia ist binnen weniger Jahre von der unangefochtenen Nummer eins der Handy-Hersteller zu einem Anhängsel von Microsoft abgesunken.

Mehr als die Hälfte des Apple-Umsatzes stammt heute allein vom iPhone. Die neueste Generation verkauft sich zwar wie „geschnitten Brot“ – Apple meldete vier Millionen Vorbestellungen innerhalb von 24 Stunden für das im Oktober erwartete iPhone 6 –, ist aber auch ein Premiumprodukt, das dreimal soviel kostet wie die der meisten Wettbewerber. Es hat seinen Kultstatus und den Neuigkeitsfaktor inzwischen eingebüßt, und mit Samsung ist den Amerikanern ein unerbittlicher Konkurrent entstanden, der technisch vergleichbare Geräte wesentlich billiger und mit vielen kostenlosen Apps anbietet.

Der iPod – ein winziges Abspielgerät für digitale Musikformate – und das iPad – ein Mittelding aus Klapprechner und iPhone – sind auf der Lebenszykluskurve in die Reifephase getreten. Auch da werden sie noch jahrelang viel Liquidität in die Kassen spülen, aber irgendwann ist Schluß damit. Die Apple Watch soll nun neben dem iPhone zum zweiten großen Standbein des Unternehmens heranreifen, das Steve Jobs, Steve Wozniak und Ron Wayne 1976 in einer Garage gründeten.

Ob das gelingen kann, ist fraglich. Apple hat zwar auf der Welt mehr als 800 Millionen Nutzer und verfügt mit den Apple Stores über die weltweit vielleicht glamouröseste Kette von Elektronik-Läden, aber das allein dürfte nicht eine halbe Milliarde Menschen davon überzeugen, ihre Uhr gegen Apples neue „Smart-Watch“ auszutauschen.

www.apple.com

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