© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/14 / 19. September 2014

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

An den großen Steinen von Stonehenge hat man Gravuren gefunden, die mit bloßem Auge nicht mehr sichtbar sind; abgetragen von Wind und Regen. Es handelt sich nach Meinung der Forscher um Arbeiten aus der Bronzezeit, die in erster Linie stilisierte Äxte darstellen. Auch das ein Hinweis auf die über Jahrtausende anhaltende Kontinuität symbolischer Systeme, die im Fall der Axt als Herrschaftszeichen von den kostbar gearbeiteten Klingen des Neolithikums über die Ritzungen, wie man sie in Stonehenge fand, bis zu den Prunkäxten der Warägerfürsten und angelsächsischen Könige reicht.

„Ich halte es für einen der größten Beweise menschlicher Klugheit, sich der Drohungen und Beleidigungen durch Worte zu enthalten.“ (Machiavelli, Discorsi)

Die Ankündigung des Dalai Lama, daß er sich künftig nicht mehr reinkarnieren wolle, blieb weitgehend unbeachtet. Aber aus den falschen Gründen. Denn aufschlußreicherweise zeigt damit auch die tibetische Variante mit ihren Anreicherungen aus allen möglichen Glaubensüberlieferungen und bunter Folklore, daß der Buddhismus im Kern keine Religion ist.

Der absolute Höhepunkt am Frühstücksbuffet des Fünf-Sterne-Hauses: selbstgekochte Marmelade

Es wäre interessant, festzustellen, wann die Briten das Schlangestehen zur Tugend erhoben. Der Gedanke liegt nahe, daß das in der Hochphase des Imperialismus geschah, um die alten wie die neuen Untertanen im Vielvölkerreich zu disziplinieren. Leider stehen weder die Macht- noch die Erziehungsmittel zur Verfügung, um dieses Muster für unsere zunehmend buntere Gesellschaft zu übernehmen, und so wird man sich nicht nur mit deutschen Dreisten, sondern auch mit denen aus aller Herren Länder abfinden müssen, die die Reihenfolge nicht einhalten.

Martin Meyer, der Kulturchef der Neuen Zürcher Zeitung, hat unlängst beklagt, daß die Intellektuellen „verstummten“. Daran ist zweierlei richtig: erstens, daß die Vordenker im medial verstärkten Stimmengewirr der Gegenwart immer schwerer hörbar sind, zweitens, daß es einen berechtigen Überdruß an dem gibt, was die Intelligenz in den vergangenen Jahrzehnten an Notwendigkeiten behauptete, an Prognosen lieferte und an Utopien ausmalte.

Bei drei Begegnungen mit Vertretern der jungen Generation, die alle eine gewisse Zeit im englischsprachigen Ausland (Großbritannien, Irland, USA) verbracht haben, um für das Studium oder den Beruf die angeblich so wichtigen Erfahrungen in der – natürlich als überlegen vorgestellten – Fremde zu sammeln, immer derselbe Tenor: Kein Vergleich mit unseren Standards. Ein Sachverhalt, der nicht nur sehr zu denken gibt, angesichts der Absenkung unserer eigenen Maßstäbe in den vergangenen Dekaden, die offenbar immer noch nicht zur vollständigen Nivellierung geführt hat, sondern auch in bezug auf die fatalen Folgen der forcierten Europäisierung oder Internationalisierung von Lehrinhalten und Abschlüssen.

Wenn jemand con tremolo ankündigt, „die ganze Geschichte“ zu erzählen, darf man sicher sein, daß er alles mögliche, aber nicht „die ganze Geschichte“ erzählen wird.

Bildungsbericht in loser Folge LXIII:

Großbritannien gilt mit Recht als das Land der Schuluniform, genauer der Schüleruniform, und das Bildungsministerium hat diese Einrichtung noch einmal mit Nachdruck verteidigt, da die einheitliche Kleidung „eine wertvolle Rolle spielen könne, indem sie zum Ethos einer Schule beiträgt und ihr eine eigene Note gibt“. Interessant ist die Tatsache, daß man eine deutliche Rückwendung zu älteren Formen feststellt; es verschwinden die Sweatshirts der achtziger und neunziger Jahre und kehren die klassischen Blazer wieder. In einigen Fällen, etwa dem der Christ’s Hospital School, Horsham, tragen die Schüler auf eigenen Wunsch weiter eine Tracht, deren Farbe und Schnitt bis in die Zeit der Tudors zurückreicht und sich kaum von derjenigen unterscheidet, die ihre Vorgänger unter der Herrschaft Eduards VI. anlegten.

Der Cicero fragt im Titelthema, was es mit dem neuen Nationalgefühl auf sich habe. Daß die Beispiele – Deutschland, Schottland, Schweiz –, die „heute wieder ihr Heil im Alleingang suchen“, nicht ganz überzeugend zusammengestellt sind, sieht man auf den ersten Blick, erst auf den zweiten, daß es sinnvoller gewesen wäre, über Katalonien, Neu-Rußland und Kurdistan zu handeln. Jedenfalls dann, wenn man sich wirklich klarmachen wollte, welche Sprengkraft der Forderung nach nationaler Selbstbestimmung nach wie vor innewohnt. Verglichen damit erscheinen selbst Probleme wie das zukünftige Zahlungsmittel in Edinburgh, die EU-Mitgliedschaft der Republik Schottland oder die Umgestaltung des Union Jack mehr oder weniger irrelevant.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 3. Oktober in der JF-Ausgabe 41/14.

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