© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  39/14 / 19. September 2014

Nur bedingt abwehrbereit
Zehntausend Tote erwartet: Wie deutsche Ärzte sich auf das lebensbedrohliche Ebola-Virus vorbereiten
Dirk Glaser

Die Konfliktherde im Nahen Osten und in den östlichen Oblasten der Ukraine allein reichten 2014 aus, um das von Journalisten gefürchtete mediale Sommerloch zu füllen. Des Zaire-Ebola-Virus hätte es also kaum bedurft, um den Strom der Schreckensnachrichten anschwellen zu lassen. Trotzdem übersprang der hochpathogene Erreger einer überwiegend tödlich verlaufenden Krankheit, dessen erstmaliges Auftreten in Westafrika zu Frühlingsbeginn international kaum registriert worden war, im Juli und August locker die öffentliche Wahrnehmungsschwelle und konkurrierte auf den Titelseiten mit den Gefechtsberichten von Tigris und Djnepr.

Vier Ärzte und 16 Pfleger für Behandlung notwendig

Inzwischen sind in Guinea, Sierra Leone, Liberia und Nigeria bis Anfang September 2.300 Menschen der Infektionskrankheit zum Opfer gefallen. Die bisher nicht eingedämmte Seuche dürfte in diesem Jahr nach Schätzung von René Gottschalk, dem Sprecher des Ständigen Arbeitskreises der bundesdeutschen Kompetenz- und Behandlungszentren für hochkontagiöse und lebensbedrohliche Erkrankungen am Berliner Robert-Koch-Institut, mindestens 10.000 Tote fordern (Frankfurter Rundschau vom 7. September 2014).

Daß mit einer derartigen Horrorzahl zu rechnen ist, ist für Gottschalk wesentlich dem maroden Zustand des westafrikanischen Gesundheitswesens geschuldet. Das diesen Namen kaum verdiene, denn die Krankenhäuser dort zeichneten sich meist dadurch aus, daß man sie nicht lebend verlasse. Aufgrund miserabler Einrichtungen und kläglicher Arbeitsbedingungen habe es auch unter Ärzten und Pflegern bereits 120 Tote gegeben. Hilfe sei darum nur von der westlichen Hochleistungsmedizin zu erwarten, da jedes mobile Hospital in Europa tausendmal besser ausgerüstet sei als ein afrikanisches Krankenhaus. Man sollte mithin schnellstens verstärkt Labore und Personal ins Seuchengebiet in Marsch setzen, da man mit einer „guten Intensivmedizin“ das Ebola-Virus, das rasch zu multiplem Organversagen und bei 60 bis 70 Prozent der Patienten zum Tod führt, „relativ gut beherrschen“ könne.

Besorgter klingt demgegenüber die Lageanalyse Thomas Grünewalds von der Leipziger Klinik für Infektiologie, Tropenmedizin und Nephrologie (Deutsches Ärzteblatt, Heft 33-34 vom 18. August 2014). Grünewald konzentriert sich auf die deutschen Möglichkeiten, Patienten mit hochkontagiösen und lebensbedrohlichen Infektionskrankheiten (HKLE) zu behandeln. Dabei streicht er zwar die hohe Expertise und ausgefeilte Logistik in den Behandlungszentren hierzulande heraus, läßt aber auch erkennen, wo nur bedingte Abwehrbereitschaft herrscht: Insgesamt stünden in den zehn Behandlungszentren nämlich nur 54 Betten und 38 Beatmungsplätze zur Verfügung.

Der Personalbedarf pro Patient in den ersten Behandlungstagen ist zudem mit vier Ärzten und 16 Pflegern sehr hoch. Ob die dafür zur Verfügung stehenden Kräfte, die nur als Freiwillige zum Einsatz kommen, eine spezielle Schulung durchlaufen und alle erforderlichen Schutzimpfungen vorweisen müssen, ausreichen, verrät Grünewald nicht. Für die potentiellen „Erstversorger“, die Hausärzte sowie die für die Prüfung der Verdachtsfälle zuständigen Amtsärzte, stehe jedenfalls fest, daß eher wenige über die für ein effektives HKLE-Management erforderlichen speziellen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen verfügen.

Eine weitere Lücke in der Abwehrkette öffnet sich bei der Erfassung von Kontaktpersonen. Oftmals zeigten Patienten bereits während eines Fluges Symptome, was Mitreisende gefährde. Es bedürfe dann eines extremen Aufwandes, um bei den Fluglinien die Passagierlisten zu erhalten, die leicht Hunderte mit hohem Risiko exponierte Kontaktpersonen aufweisen. Echte medizinische Versorgung Infizierter sei während des Fluges nahezu unmöglich. Für Krankentransporte aus Übersee diskutiere man jetzt aber die Integration von klinischer Ausrüstung in Cargo-Maschinen, womit die luftfahrtrechtlichen Hindernisse bei derartigen Aktionen aber nicht beseitigt wären.

Ob das Ebola-Virus oder das auf der arabischen Halbinsel erstmals aufgetretene, ebenfalls hochpathogene MERS-Coronavirus überhaupt den leidlich kontrollierbaren Luftweg „wählen“, um nach Deutschland zu gelangen, ist angesichts der an Europas Mittelmeerküsten anbrandenden Wellen von Wirtschaftsflüchtlingen aus orientalischen, nord- und westafrikanischen Regionen eine Frage, deren Beantwortung vielleicht schon die Titelseiten im Sommer 2015 dominieren wird.

Foto: Augenärztliche Untersuchung eines Patienten in Freetown, Sierra Leone: Miserables Gesundheitssystem in Westafrika

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