© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

Der Rückstoß
Eine neue „Koalition der Willigen“ gegen die Terrorgruppe Islamischer Staat muß alte Sünden ausbaden
Michael Wiesberg

Seit Amerikas Präsident Barack Obama seine Vorstellungen zur Bekämpfung der Terrormilizen des „Islamischen Staates“ (IS) dargelegt hat, wirbt sein Außenminister John Kerry für eine Militäraktion im Irak und in Syrien sowie für die Bewaffnung und Ausbildung der prowestlichen Milizen in beiden Ländern.

Frankreich beteiligt sich bereits an den Luftangriffen, England dürfte bald folgen, auch wenn Premierminister Cameron eine Abstimmung für einen Militäreinsatz im britischen Parlament Anfang des Monats verloren hat. Auch die australische Regierung kündigte mittlerweile die Entsendung von acht Jagdbombern und weiteren Militärflugzeugen sowie 600 Soldaten in den Nahen Osten an. Im weiteren sagte der UN-Sicherheitsrat der neuen irakischen Regierung seine Unterstützung im Kampf gegen den IS zu, außerdem Jordanien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrein und Saudi Arabien.

Einmal mehr formiert sich also eine „Koalition der Willigen“, um dem Kampf gegen das (diesmal „absolute“) „Böse“ aufzunehmen, und einmal mehr steht Deutschland in der Kritik, weil sein Beitrag, der bisher in der Lieferung deutscher Waffen an kurdische Peschmerga-Kämpfer besteht, als „unzureichend“ abqualifiziert wird. Die Forderungen, die an Deutschland herangetragen werden, reichen bis hin zum Einsatz von Bodentruppen. Berlin indes tut gut daran, in diesem Konflikt, der von komplexen Interessenlagen befeuert wird, zurückhaltend zu bleiben. Das gilt nicht nur vor dem Hintergrund eines Phänomens, das der Politologe Chalmers Johnson „Blowback“ (Rückstoß) genannt hat: Er meinte damit die „unbeabsichtigten Folgen politischer Maßnahmen, die vor der amerikanischen Öffentlichkeit geheimgehalten werden“. Was als verwerfliche Akte von „Terroristen“ oder „verbrecherischen Regimen“ dargestellt werde, erweise sich oft als „Rückstoß“ früherer amerikanischer Operationen.

Dieses Phänomen kann auch im Hinblick auf den vom Westen ausgerufenen „gerechten Krieg“ gegen die Steinzeit-Islamisten des IS beobachtet werden. Um es deutlich zu sagen: Einige Staaten des Golf-Kooperationsrates, vorrangig Katar und Saudi-Arabien, und im weiteren das Nato-Mitglied Türkei, haben mit amerikanischer Unterstützung maßgeblichen Anteil an der Eskalation der Lage in Syrien und Irak.

Bis heute werden die IS-Dschihadisten von Geschäftsleuten aus den Golfstaaten unterstützt; sie profitierten im Hinblick auf ihre militärische Ausrüstung von Waffenlieferungen, die die „Freunde Syriens“ initiierten, um den vom Westen zum Gottseibeiuns ausgerufenen syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad zu stürzen. Auch hier standen Saudi-Arabien und Katar an der Spitze; dazu kamen Waffenplünderungen bei konkurrierenden Kampfgruppen wie der Freien Syrischen Armee (FSA), deren größtes Waffenlager den IS-Kämpfern in die Hände fiel.

Zu den „Freunden Syriens“ gehören im übrigen auch die USA, England, Frankreich und Deutschland, denen kaum entgangen sein dürfte, aus welchen Quellen die Terrormilizen ihre Waffenarsenale gefüllt haben.

Für Frankreichs Staatspräsidenten François Hollande ist Assad faktisch ein „Verbündeter der Dschihadisten“; es gebe „keine Wahl zwischen zwei Arten der Barbarei“, betonte Hollande bei einer außenpolitischen Grundsatzrede Ende August in Paris. Deshalb, so Hollande, könne es keine Allianz mit Assad im Kampf gegen den IS geben. Wohl auch daraus leitet Obama die Legitimation ab, „Vergeltungsschläge“ gegen das syrische Luftverteidigungssystem zu führen, sollte Assad befehlen, auf amerikanische Kampflugzeuge zu schießen, die in den syrischen Luftraum eindringen.

Die neue „Koalition der Willigen“ sieht indes kein Problem darin, mit den tatsächlichen Förderern der IS-Krieger, nämlich Saudi-Arabien und Katar, zu kooperieren. Noch Anfang Februar dankte Senator John McCain auf der Münchener Sicherheitskonferenz Gott, so die Zeitschrift The Atlantic, „für die Saudis und Prinz Bandar“, dem langjährigen Geheimdienstchef Saudi-Arabiens, für die Waffen, mit denen sie die Kampfverbände in Syrien ausgerüstet hätten. McCain vergaß auch nicht das (energiestrategisch wichtige) Emirat Katar, dem er ebenfalls Dank zollte.

Zum großen Teil sind diese gelieferten Waffen wohl in die Hände der islamistischen Al-Nusra-Front und der IS-Verbände gelangt. Nicht auszuschließen ist, daß Saudi-Arabien und Katar die Kontrolle über die Terrormilizen verloren haben, was die Amerikaner und ihre Verbündeten wieder ins Spiel gebracht hat. Die wiederum sehen nun auch die Gelegenheit, endlich in Syrien das zu erreichen, was bereits seit längerem ihr Ziel ist, nämlich bei der Bekämpfung des von einigen „Freunden Syriens“ fahrlässig zum Frankensteinmonster heraufgerüsteten IS en passant gleich auch Assad zu stürzen.

Es steht aber zu befürchten, daß die Folgen dieser Intervention weitere „Blowbacks“ nach sich ziehen werden. Nach Lage der Dinge dürften nach einer Intervention zur Zurückdrängung des IS – und womöglich dem Sturz von Assad – weder der Irak noch Syrien stabil genug sein, um die Fliehkräfte, die diese Staaten zu zerreißen drohen, zu neutralisieren. Der Irak wird womöglich in drei Teile zerfallen, und in Syrien werden die gemäßigten Oppositionskräfte, die militärisch zuletzt faktisch keine Rolle mehr spielten, kaum in der Lage sein, radikalen islamistischen Kräften Paroli zu bieten.

Mit anderen Worten: Die ganze Region wird ein Pulverfaß bleiben – dessen Eruptionen in Form von Terroranschlägen auch Europa und die USA erreichen könnten. Die sich jetzt schon abzeichnenden Flüchtlingswellen aus dem Irak und Syrien werden selbstverständlich Europa, vor allem aber Deutschland, zu schultern haben. Sie sind ein Vorgeschmack darauf, was die verfehlte Politik des Westens noch an Folgen zeitigen könnte.

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