© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

„Der Vorwurf ist absurd“
Zum 125. Geburtstag Martin Heideggers ist erneut die Anschuldigung des Antisemitismus gegen den Ausnahmephilosophen laut geworden. Nun nimmt sein Sohn Hermann Heidegger, der die Herausgabe des Gesamtwerks betreut, Stellung.
Moritz Schwarz

Herr Dr. Heidegger, ...

Heidegger: Entschuldigung, erlauben Sie, daß ich eine Vorbemerkung mache?

Das ist eigentlich nicht üblich.

Heidegger: Bitte, es ist mir wichtig! Also: Bei vielen Fragen vertritt die JUNGE FREIHEIT eine eigene, von den politischen Parteien unabhängige Meinung. Darüber freue ich mich, auch wenn ich mit vielen Ansichten dieser Zeitung nicht einverstanden bin. Die JF ist ein Beweis für die Meinungsfreiheit in unserer Demokratie. Da selbst unabhängige Geister wie Egon Bahr, Hans-Georg Gadamer, Ernst Nolte oder Peter Scholl-Latour in der JF veröffentlicht haben, habe ich keine Bedenken, meinerseits einen kleinen Beitrag zu leisten. Demokratie heißt Volksherrschaft. Doch als ausgebildeter Geschichtswissenschaftler weiß ich, daß Volksherrschaften sich oft auch zu Diktaturen entwickeln können. Ich erinnere an Napoleon, Lenin, Stalin und Hitler. Ich wünsche, daß die Menschenrechte allen Menschen zugute kommen.

Finden Sie es nicht bedenklich zu glauben, erst eine solche Stellungnahme abgeben zu müssen, um dieser Zeitung ein Interview geben zu können?

Heidegger: Das ist leider so.

Herr Dr. Heidegger, war Ihr Vater möglicherweise der erste Globalisierungskritiker und seiner Zeit um Jahrzehnte voraus?

Heidegger: Da ich kein Fachphilosoph bin, kann ich Ihnen darauf keine seriöse Antwort geben. Aber er war selbst der Meinung, daß seine Zeit noch nicht reif sei, seine Gedankengänge zu verstehen. So bat er mich schon in den fünfziger Jahren, seinen Nachlaß für hundert Jahre gesperrt in ein Archiv zu legen.

Offenbar konnten Sie ihm das ausreden.

Heidegger: Der alte Verleger Vittorio Klostermann bat mich, mit meinem Vater über die Notwendigkeit einer Gesamtausgabe zu reden. Es ist mir schließlich gelungen, ihn davon zu überzeugen, als ich einwandte, wie sonst im Falle eines Atomkrieges seine Schriften erhalten bleiben sollen. Er dachte einige Minuten darüber nach und willigte dann ein.

In einer aktuell aufgeflammten Debatte geht es um Antisemitismus-Vorwürfe gegen Ihren Vater. War er ein Antisemit?

Heidegger: Es stimmt, daß er kritisch gegenüber dem Weltjudentum war, aber er war auf keinen Fall ein Antisemit.

Die Vorwürfe gegen Ihren Vater gehen auf das unlängst erschienene Buch „Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung“ des Leiters des Wuppertaler Heidegger-Instituts, Peter Trawny, zurück. Trawny hat auch Heideggers „Schwarze Hefte“ ediert – das sind die jüngsten drei Bände der von Ihnen gesteuerten Heidegger-Gesamtausgabe. In diesen „Schwarzen Heften“, so Trawny in seinem Buch, finden sich bisher unbekannte Äußerungen Ihres Vaters über die Juden, die beweisen sollen, daß sein Denken auf einem antisemitischen Fundament ruht.

Heidegger: Diese Schlußfolgerung halte ich für völlig überzogen. Tatsächlich handelt es sich um zusammengesetzt drei von 1.250 Seiten der „Schwarzen Hefte“, auf denen sich überhaupt Bemerkungen über die Juden finden. Zudem sind es inhaltlich betrachtet Randnotizen ohne zentrale Stellung. Damit einen „seinsgeschichtlichen Antisemitismus“ meines Vaters zu begründen, wie Herr Trawny es tut, überzeugt mich nicht.

Trawny argumentiert, Ihr Vater weise den Juden pauschal Charakteristika zu, wie eine „rechnerische Begabung“, „Entwurzelung“ oder Befolgung eines jüdischen „Rasseprinzips“. Außerdem hätten sie für ihn eine besondere Verantwortung für die große Krise, in der sich das Abendland befinde: die Seinsvergessenheit des modernen Menschen. Gemeint ist damit die moderne Gesellschaft, die von Technologie und Ökonomie dominiert wird und das eigentliche Sein des Menschen negiert.

Heidegger: Daß mein Vater das Judentum als Teil dieses Problems kritisiert hat, ist richtig, aber ebenso hat er den Bolschewismus der Russen, den Amerikanismus der Angelsachsen und schließlich auch den Nationalsozialismus der Deutschen so kritisiert. Es hat also keinen Sinn, speziell von Antisemitismus im Denken meines Vaters zu sprechen.

In einem Interview mit der Zeitschrift „Sezession“ loben Sie Trawny als „geschätzten Herausgeber“, während Sie dort gleichzeitig seine Thesen heftig kritisieren. Das müssen Sie bitte erklären.

Heidegger: Herr Trawny ist schon seit langer Zeit ein guter Mitarbeiter der Gesamtausgabe. Er hatte mein volles Vertrauen, daher hatte ich ihm auch die Edition der „Schwarzen Hefte“ anvertraut.

Er „hatte“ Ihr Vertrauen? Das heißt, Sie sehen dieses gebrochen?

Heidegger: So weit würde ich nicht gehen.

Und wie betrachten Sie nun Ihrer beider Verhältnis?

Heidegger: Nun, wir sprechen nach wie vor sachlich miteinander, aber wir kommen in der Sache nicht zueinander.

Es ist nobel, Herrn Trawny die Sache nicht persönlich nachzutragen. Aber können Sie die Angelegenheit so bewenden lassen? Immerhin geht es um den Ruf Ihres Vaters.

Heidegger: Ich kann nicht mehr tun, als mich enttäuscht über seine Schlußfolgerungen zu zeigen. Ich kann ihn nun mal nicht umstimmen.

Werden Sie weiter mit Peter Trawny zusammenarbeiten?

Heidegger: Ja. Mein Problem ist, daß ich selbst kein Fachphilosoph bin. Ich sehe auf der einen Seite Peter Trawny, auf der anderen Seite etwa François Fédier sowie meine persönlichen Erfahrungen mit meinem Vater.

Und die sind?

Heidegger: Was bedeutet denn Antisemitismus überhaupt? Judenhaß! Mein Vater aber lehnte Haß generell ab. Tatsächlich hatte mein Vater sein ganzes Leben lang enge freundschaftliche Beziehungen zu Juden unterhalten. Unser Kinderarzt zum Beispiel war Jude. Die beste Freundin meiner Mutter war Jüdin. Regelmäßig wurden wir Kinder zu jüdischen Freunden meiner Eltern in die Ferien geschickt. Wenn Sie das private Leben meines Vaters kennen, ist der Vorwurf des Antisemitismus einfach absurd.

Wieso hat Ihr Vater dann 1933 auf den Nationalsozialismus gesetzt?

Heidegger: Wer hat 1933 nicht alles auf den Nationalsozialismus gesetzt? Theodor Heuss hat dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt. Auch Karl Jaspers war im Frühjahr 1933 von der Aufbruchstimmung zunächst erfaßt und schrieb seine heute kaum bekannten „Thesen zur Hochschulerneuerung“ in einem sehr zeitgemäßen Ton – Stichworte: Arbeitsdienst, Wehrsport, Auslese. Da sehen Sie, daß hinter den Vorwürfen gegen meinen Vater offenbar ganz andere Motive stehen. Selbst Pastor Niemöller, Graf Stauffenberg und die Geschwister Scholl waren zu Beginn voller Begeisterung für den Aufbruch. Was habe ich für Krach mit meinen Eltern gehabt, weil ich begeisterter Jungenschaftsführer, später Fähnleinführer war, in die HJ wollte und nicht durfte!

Ihr Vater war 1933 der Partei beigetreten.

Heidegger: Was er aber nach einem halben Jahr schon bereut hat. Er hat nie ein Parteiamt angetreten oder eine Parteiversammlung besucht.

Vorgeworfen wird ihm bis heute, in seiner Antrittsrede als neuer Rektor der Universität Freiburg den Nationalsozialismus etwa als großen und herrlichen Aufbruch gepriesen und in einer Studentenzeitschrift Hitler als „die neue deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz“ gelobt zu haben.

Heidegger: Jeder große Denker begeht einmal Irrwege, das hat mein Vater auch eingestanden. Bestes Beispiel: „Sein und Zeit“ – sein Hauptwerk –, dessen zweiten Teil er selbst vernichtet hat. Schließlich hat er seine Stellung als Rektor genutzt, um lauter Dekane zu ernennen, die keine Nationalsozialisten waren, darunter den offen sozialdemokratisch gesinnten Wilhelm von Möllendorff, der vor ihm Rektor der Universität war und unter dem Druck der Nazis zurücktreten mußte. Ein deutlicheres Zeichen konnte man kaum setzen. Außerdem verbot er etwa, ein Plakat gegen die Juden in der Universität aufzuhängen. Er setzte sich dafür ein, daß Edmund Husserl, als jüdischer Philosoph, wieder an der Universität lesen durfte – was dieser dann allerdings nicht mehr tat. Und sein halbjüdischer Assistent Werner Brock konnte bis Herbst 1933 bleiben. Dann wanderte er mit Unterstützung meines Vaters nach England aus.

Warum hat sich Ihr Vater später nicht offen vom Nationalsozialismus distanziert?

Heidegger: Er hat seinen Irrtum doch eingestanden, aber darüber hinaus wollte er sich nicht mit all jenen gemein machen, die auf einmal schon immer „dagegen“ gewesen waren. Gegenüber Karl Jaspers aber hat er in Briefen sein Irren, seine Scham und seinen kurzfristigen Machtrausch bekannt.

NS-Erziehungsminister Otto Wacker attestierte 1933 Ihrem Vater, einen „Privat-Nationalsozialismus“ zu betreiben. Später ist Ihr Vater vom Nationalsozialismus der NSDAP abgerückt. Gilt das aber auch für seinen Privat-Nationalsozialismus?

Heidegger: Ich halte diese Vorstellung von einem Privat-Nationalsozialismus meines Vaters für groben Unfug.

Inwiefern?

Heidegger: Es stimmt, mein Vater war national gesinnt und ebenso sozial eingestellt. Aber daraus jetzt einen Privat-Nationalsozialismus zu konstruieren, ist der reine Unsinn.

Worum ging es Ihrem Vater dann?

Heidegger: Mein Vater sah die Rolle der Deutschen darin, die Aufgabe der Griechen für die abendländische Welt zu übernehmen. Denn die Bewahrung des Abendlandes war ihm sehr wichtig. Er hatte 1933 gehofft, mit Hilfe des Nationalsozialismus seine Vorstellung von einer Reform der deutschen Universität umzusetzen, um zu dieser Mission beizutragen. Vielleicht zu spät, aber andererseits früher als viele andere, die wir heute als Vorbilder des Widerstandes gegen Hitler loben, hat er seinen Irrtum erkannt und ist auf Abstand gegangen. Die „Schwarzen Hefte“ sind voller Kritik am Nationalsozialismus.

 

Dr. Hermann Heidegger, wurde 1976 von seinem Vater, dem Philosophen Martin Heidegger, mit der Betreuung der Gesamtausgabe von dessen Werk beauftragt. Geboren 1920 in Freiburg im Breisgau, studierte Hermann Heidegger Philosophie, Geschichte, Jura und Forstwirtschaft. 1938 wurde er Fahnenjunker, diente in Frankreich, auf dem Balkan und an der Ostfront. Viermal verwundet, führte der Oberleutnant am Ende des Krieges ein Infanteriebataillon. Nach Rückkehr aus sowjetischer Gefangenschaft setzte er 1948 sein Studium fort und promovierte 1953 – während er als Volksschullehrer tätig war – im Fach Geschichte bei Gerhard Ritter. Graf Baudissin holte ihn 1955 als Hauptmann in das Bundesministerium der Verteidigung. Er bearbeitete die ersten vier Bände „Schicksalsfragen der Gegenwart. Handbuch politisch-historischer Bildung“, war Mitbegründer der Monatszeitschrift Information für die Truppe und diente in mehreren Generalstabs- und Truppenkommandeursverwendungen. 1979 nahm der Oberst seinen Abschied und widmete sich ganz der Heidegger-Gesamtausgabe.

Foto: Martin Heidegger (1889–1976): „Er war kritisch gegenüber dem Weltjudentum, aber er war kein Antisemit“

 

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