© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

„Das Liebste, was ich habe“
„Marsch für das Leben“: Tausende Lebensschützer demonstrieren in Berlin gegen Abtreibung
Alexander Heimeran

Anita Dreher hat ihre Tochter mitgebracht. Alina ist drei Jahre alt, ihre blonden Haare ringeln sich leicht auf ihren kleinen Schultern. Sie ist so, wie Kinder in diesem Alter sind: quirlig in vertrauter Umgebung, vor fremden Menschen etwas schüchtern. Als ihre Mutter die Bühne betritt, lehnt sie ihren Kopf an Mamas Schulter. Alina hätte, ginge es nach den Ärzten, nie das Licht der Welt erblickt. Sie hat Trisomie 21. Ihre Mutter ist eine von vielen Frauen, denen Ärzte und Angehörige eine Entscheidung nahelegen, die sie später bereuen: ein behindertes Kind abzutreiben. „Für mich ist sie das Wichtigste und das Liebste, was ich habe“, verrät sie den Teilnehmern des Marsches für das Leben in Berlin.

„Ein unglaublicher Sonnenschein“, sagt auch Martin Lohmann, das Gesicht der Protestveranstaltung. Als Vorsitzender des Bundesverbandes Lebensrecht (BVL) organisiert er die Demonstration, die vom Bundeskanzleramt zum Lustgarten führt. „Ich freue mich, daß viele junge Menschen da sind“, ruft Lohmann den Teilnehmern entgegen. Der anschließende Jubel vor allem junger Frauen zeigt, daß dies keine leere Rhetorik ist. Menschen aller Altersgruppen sind gekommen, auch zahlreiche Behinderte, manche im Rollstuhl, andere mit Down-Syndrom. Für viele ist es ein Treffen mit alten Bekannten, es wird gelacht, Menschen schließen sich in die Arme. „Ach, schön dich wiederzusehen! Wie geht es dir?“ Schätzungsweise fünf- bis sechstausend Teilnehmer aus ganz Deutschland sind vergangenen Samstag angereist, um den Schutz des Lebens auf die Tagesordnung zu setzen. „Ja zum Leben – für ein Europa ohne Abtreibung und Euthanasie“ lautet das Motto des Marsches. Politiker zeigen sich beim Zug durch das Regierungsviertel nur wenige. Ein Bundestagsabgeordneter ist dabei, Hubert Hüppe (CDU), und eine Europaabgeordnete, Beatrix von Storch (AfD).

Während der Kundgebung vor dem Bundeskanzleramt nähern sich aus der Ferne Trommeln, Schreie, Trillerpfeifen, Sprechchöre. Plötzlich liegt Spannung in der Luft. „Wer sein Heil am extrem linken Rand sucht und sich extrem links positioniert, für den muß der Garten in der Mitte rechtsaußen wirken“, sagt Lohmann „Aber: Les extrêmes se touchent, die Extreme berühren sich. Nein zu rotlackierten Braunen, nein zu braunlackierten Roten!“ ruft er. „Befreit euch aus der Gefangenschaft des Hasses!“

„Der Protest bestätigt uns“

Einer jungen Frau mit kurzgeschorenen Haaren gelingt es, die Absperrung zu durchbrechen, sie freut sich diebisch. Schließlich greift die Polizei ein. Unter Schmährufen der Gegendemonstranten setzt sich der Marsch schließlich in Bewegung. „Kondome, Spirale, Linksradikale! Masturbation statt Religion!“ rufen die Linksextremisten. Die Lebensschützer halten weiße Holzkreuze in die Höhe, mit denen sie daran erinnern, daß vielen Ungeborenen das Recht auf Leben verwehrt wird. „Hätt’ Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben!“ schallt es ihnen entgegen. Kondome prasseln auf die Marschteilnehmer hernieder, Kreuze werden entrissen, umgedreht und beschmiert als Trophäen präsentiert. „Christen fisten“ steht jetzt auf einem.

Die Polizei hat alle Hände voll zu tun. Immer wieder muß sie Sitzblockaden räumen, es kommt zu Rangeleien. „Polizeigewalt! He, geht’s noch?“ rufen Gegendemonstranten. Den Polizisten steht der Schweiß auf der Stirn, man sieht ihnen die Anspannung an den Augen an. „Deutschland stirbt aus, wir klatschen laut Applaus! Deutschland ist scheiße, ihr seid die Beweise!“ skandiert die Menge. Hubert Hüppe, der mit seinem behinderten Sohn an dem Marsch teilnimmt, wird von einem Farbbeutel getroffen. Wie er der Evangelischen Nachrichtenagentur idea sagte, hätten ihn zuvor zwei Mitarbeiter der ZDF-Satiresendung „heute-show“ körperlich angegangen. Das ZDF wird später behaupten, er habe die Mitarbeiter „körperlich bedrängt“ und Interviews „gestört“. Hüppe bleibt bei seiner Version.

Endlich erreichen die Teilnehmer des Marsches den Lustgarten, strategisch günstig gelegen zwischen Spree, Altem Museum und Berliner Dom, die als Annäherungshindernisse die Absperrungen der Polizei ergänzen. Gegendemonstranten werden nicht hineingelassen. Die Marschteilnehmer sitzen gesellig beisammen, der eine oder andere legt sich auf den Rasen. Kinder waten barfuß durch den Springbrunnen in der Mitte der Gartenanlage. Im Hintergrund spielt eine junge Band fröhliche Musik. Größer könnte der Kontrast zum Spießrutenlauf während des Marsches kaum sein. Julia (30) und Emily (14) sind aus Chemnitz angereist. Sie lassen sich die Sonne aufs Gesicht scheinen, die nun durch die Wolken bricht. „Wir sind das erstemal dabei“, erzählen sie. Wie sie die Gegendemonstranten erlebt haben? „So aggressiv waren die. Warum nur? Ich versteh es nicht“, sagt Julia.

Noch einmal gelingt es Gegnern, die Veranstaltung zu stören. Während die Lebensschützer ihre Aktion feierlich mit einem ökumenischen Freiluftgottesdienst ausklingen lassen, entrollen sie inmitten der Besucher Transparente, die Sprechchöre setzen wieder ein: „Kein Gott, kein Staat, kein Patriarchat!“ Hedwig von Beverfoerde, die Sprecherin der Initiative Familienschutz, bleibt gelassen. „Man gewöhnt sich einfach daran. Die tun einem eigentlich eher leid.“ Nun sei sie schon mehrmals dabeigewesen und die Gegendemonstranten hätten sich noch keinen einzigen neuen Spruch ausgedacht, es sei wirklich sehr einfallslos. Sie lacht herzhaft. Lohmann zieht ein positives Resümee. „Ich bin sehr froh, daß so viele Menschen aus ganz Deutschland gekommen sind.“ Jedes Jahr kämen mehr Menschen. „Solange es soviel Protest dagegen gibt, bestätigt uns das auf zusätzliche Weise wie wichtig unser Einsatz für eine Kultur des Lebens ist.“ Der Mensch dürfe nicht nach seinem wirtschaftlichen Wert bemessen werden.

Foto: Demonstrationszug im BerlinerRegierungsviertel: Linksextremisten bewerfen die Teilnehmer mit Kondomen

 

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