© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

Aufatmen in Brüssel und Berlin
Schottland-Referendum: Trotz des Mißerfolgs suchen die Schotten ihr Heil in Optimismus
Martin Schmidt

Der Erfolg der probritischen Kräfte gegen die schottischen Unabhängigkeitsbefürworter fiel dann mit 55,3 Prozent zu 44,7 Prozent doch deutlicher aus als erwartet. Kein Wunder. Wie Analysen zeigen, erhielt die „Better Together“-Kampagne besonders starken Zuspruch unter den vielen Pensionären (über 70 Prozent), während die 16- bis 17jährigen Erstwähler, aber auch die 25- bis 34jährigen eindeutig das „Yes“ bevorzugten. Zahlreiche Bürger haben sich bei ihrer Stimmabgabe offenbar aus vornehmlich wirtschaftlichen Gründen an einen weit verbreiten Plakatspruch gehalten: „Vote No – It’s not worth the risk“ (Stimmen Sie mit Nein – Das Risiko lohnt nicht“).

Arbeitermilieu elektrisiert von der Unabhängigkeit

Regional gesehen war die Ablehnung in der Hauptstadt Edinburgh (61 Prozent), in den an der Südgrenze gelegenen Borderlands (67) sowie auf den Shetland- und Orkneyinseln mit 64 respektive 67 Prozent besonders groß. Neben den jüngeren Generationen, zeigten sich demgegenüber speziell Arbeitermilieus im Großraum Glasgow vom Auftreten der Unabhängigkeitsbewegung elektrisiert, deren sympathischer Charakter zuletzt auch international ausstrahlte.

Im Wahlkampf zeigten die „Yes“-Leute einen ungleich höheren Einsatz als ihre Widersacher. Obwohl sie letztlich nur in wenigen Hochburgen wie Dundee (57 Prozent) oder Glasgow (53) die Nase vorn hatten, bleibt zu fragen, wie es am Ende wohl ausgegangen wäre, wenn sich nicht alle drei großen gesamtbritischen Parteien ebenso scharf gegen eine Trennung gewandt hätten wie fast die gesamte Presse, die mächtigen Konzerne und Banken sowie ansatzweise sogar das Königshaus.

Doch das bleibt Spekulation. Tatsache ist, daß am frühen Morgen des 19. September nicht nur zahllose Andreaskreuzfahnen schlaff in der Gegend hingen, sondern auch die Gesichter der „Yes“-Anhänger ausdruckslos, müde und niedergeschlagen wirkten. So wie das von Alex Salmond, ihrem bis zuletzt mit außerordentlichem Geschick und Begeisterungsfähigkeit streitenden Wortführer. Der gestand ein, daß die Mehrheit „entschieden“ habe, in „diesem Stadium kein unabhängiges Schottland haben zu wollen“. Dennoch hob er mit Blick auf die rekordverdächtige Wahlbeteiligung von 84,6 Prozent hervor: „Wir haben Teile unserer Volksgemeinschaft erreicht, die nie zuvor etwas mit Politik zu tun haben wollten.“

David Cameron, die spanische Zentralregierung in Madrid, die Nato und einige Brüsseler EU-Offizielle jubelten, doch das nur kurz und sehr verhalten. Der Schock über das fast zum „falschen“ Ergebnis geführte Experiment im Norden der britischen Insel sitzt tief und wirkt fort. Neue Sprachregelungen und Interpretationen kommen auf. Sie münden in der Hoffnung, in tatsächlich oder vermeintlich brüsselfreundlicheren Nationalbewegungen und Regionalismen Verbündete gegen widerspenstige Bevölkerungsmehrheiten wie jene in England samt unbotmäßiger Regierungen – wie die der britischen Konservativen – finden zu können.

So bekommt Salmond samt seiner noch vor wenigen Wochen als unverständlich oder gar gefährlich dargestellten schottischen Nationalisten jede Menge Beifall auch linksegalitärer Medien, die das Referendum der Schotten als friedliches „Festival der Demokratie“ feiern.

Nicola Sturgeon, bisherige stellvertretende Erste Ministerin in Edinburgh und mutmaßliche Nachfolgerin Salmonds, gab sich trotz der Niederlage betont zuversichtlich: Das Referendum habe den „deutlichen Wunsch nach Wandel“ artikuliert.

Auch Nigel Farage, der unter Schotten ähnlich wie Cameron besonders unbeliebte Vorsitzende der United Kingdom Independence Party (Ukip), setzt auf Wandel. Allerdings mit einer anderen Zielrichtung, die sich in seinem Kommentar niederschlägt, daß das Kernland der britischen Insel während der Debatten über eine mögliche Unabhängigkeit Schottlands übergangen worden sei und er „künftig die schottischen Abgeordneten ersuchen werde, über keine Angelegenheiten mit abzustimmen, die allein England betreffen“.

Premier Cameron strich dagegen sein Bemühen um eine neuartige Föderalisierung heraus: „Wir hören euch. So wie die Schotten mehr Macht über ihre Angelegenheiten haben werden, so müssen auch die Menschen in England, Wales und Nordirland mehr Mitsprache haben.“

Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen ließ stabilitätsorientiert verlauten, er sei jetzt „zuversichtlich“, daß das Nato-Gründungsmitglied Großbritannien weiterhin „eine führende Rolle dabei spielen wird, unsere Allianz stark zu erhalten“. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel reagierte hörbar erleichtert: „Ich respektiere es – und sage es mit einem Lächeln.“ Ähnlich Martin Schulz, der sozialdemokratische Präsident des Europaparlaments, der verbal aufatmete: „Ich gebe zu, mich erleichtert das Ergebnis.“

Martin Schulz und Co. hoffen nun auf Madrid

Genauer betrachtet haben Schulz & Co. keine in sich schlüssige Strategie. Folglich blickt Brüssel nun gespannt gen Süden. Denn nur einen Tag nach dem Schottland-Votum nahm das katalanische Regionalparlament mit 106 gegen 28 Stimmen das Gesetz zur Anberaumung eines Unabhängigkeitsreferendums am 9. November 2014 an.

Das Votum wäre zwar nicht vertraglich abgesichert wie das in Schottland, da es Madrid als Verstoß gegen die Zentralverfassung wertet. Doch da die Katalanen – ebenso wie die Basken – wirtschaftlich gesehen einem ganz anderen Leidensdruck in der Transferunion Spanien unterliegen als die Schotten in Großbritannien, gibt es dort erheblichen Druck von der Straße, trotz etwaiger Widerstände aus Madrid auf jeden Fall das rebellierende Volk zu befragen.

Foto: Endzeitstimmung auf dem George Square in Glasgow: Während die No-Wähler noch in den Pubs feierten, trugen die Yes-Voter Trauer

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