© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

Grüße aus Moskau
Geliebte Altweiber
Thomas Fasbender

Wer sagte nochmal, Moskau rede von Sanktionen, von Isolation, Inflation? Pustekuchen. Schlechte Zeiten sind die Menschen hier gewohnt, wann war es je anders.

Den Altweibersommer, der heuer einfach vorbildlich ausfällt, wird niemand sich verderben lassen. Millionen feiern die letzten warmen Wochenenden, bevor der Winter die russische Hauptstadt in weiße Fesseln legt.

An die hundert Parks durchbrechen das dicht und hoch bebaute Weichbild der Stadt – ein Wunder angesichts der Bevölkerungsdichte von mehr als 10.000 Menschen je Quadratkilometer im Inneren des Autobahnrings, der alten Stadtgrenze bis 2012.

Allein im zentralen Bezirk rund um den Kreml sind 20 Prozent der Fläche als Grünland ausgewiesen: Boulevards, kleine Stadtteilparks, die aufgelassenen Gärten ehemaliger Adelspalais. Dazu die wohl berühmteste aller Moskauer Anlagen, der Gorkipark am südlichen Moskwa-Ufer.

Ja, es gibt sie: scheue Elche mitten in der bevölkerungsreichsten Agglomeration Europas.

Dieser wurde inzwischen gründlichst der Gegenwart angepaßt. Zu den Hauptattraktionen gehören Beachvolleyball-Felder auf eigens angekarrtem makellosem Ufersand. Die zeitgenössische Galerie Garage lockt mit Angeboten für den jüngsten Nachwuchs, darunter die Grüne Schule für die Allerkleinsten ab null Jahren. Interessant ist das Programm „die Datsche in der Stadt“. Preislich abgestimmt für Eltern, die sich das Wohnen in der City leisten können.

Dann der berühmte „Katok“, jedes Jahr ab dem 15. November: 18.000 Quadratmeter Kunsteis auf Straßen und Wegen und die Schlittschuhläufer aller Generationen dicht gedrängt bis abends um zehn. Einsam ist es im Gorkipark nie. An Feiertagen sind annähernd eine Viertelmillion Besucher unterwegs. Selbst unter der Woche kommen täglich Zehntausende auf das 250 Hektar umfassende Gelände.

Dagegen wirkt die wilde Verlassenheit mancher Plätze der zwei größten Moskauer Naturparks, Elchinsel und Bitzewskij, wie ein Märchen aus ferner Zeit. Ja, es gibt sie: scheue Elche mitten in der mit über 15 Millionen Menschen bevölkerungsreichsten Agglomeration Europas. So vieles ist möglich; das ist der Reiz nicht nur dieser Stadt, sondern des ganzen Landes. Am besten, der Besucher entsagt allen Erwartungen von vornherein.

Die Moskowiter selbst haben Besseres zu tun, als den Kontrasten ihrer Heimat nachzuhängen. Sie genießen die paar warmen Tage; es bleibt so wenig Zeit.

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