© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  40/14 / 26. September 2014

Dorn im Auge
Christian Dorn

Im Café verabschiedet die Bedienung zwei männliche Gäste, die nach draußen gleich in den Sonnenschein treten, mit den Worten: „Kaiserwetter!“ Um sich nach einer kurzen Pause zu versichern: „Darf man das überhaupt noch sagen?“ Darauf erteilt einer der beiden Männer, als habe er nur darauf gewartet, die Absolution: „In Deutschland darf man jetzt wieder alles.“

Im Getränkebereich von Kaiser’s Jugendliche bei der Selbstvergewisserung, der Wortführer unter ihnen, hier gleich in Versform festgehalten: „Berlin ist wirklich / billig / Köln ist echt / doppelt / so teuer.“

Auf dem Bürgersteig Pflanzkübel, darauf ein rotes Schild mit dem Zitat: „Die ganze Welt ist voll von Sachen, und es ist wirklich nötig, daß jemand sie findet. Pippi“

Auf dem Gehweg eine Mutter mit ihren zwei Kindern im Vorschulalter, sich augenscheinlich genierend, als diese – hörbar für den Rest der Straße – ihr Wissen repetieren: „Früher haben die Menschen als Wasser immer Pipi getrunken“. Darauf die Mutter: „Nein!“ Die Kinder: „Doch, hast du gesagt.“ Darauf die Mutter wieder: „Nein“, und die Kinder: „Doch.“ Der Widerstreit verliert sich hinter der Straßenecke.

Abstecher zu den Kunstmessen abc (Art Berlin Contemporary) und Positions – die Liste und der Kunstsalon haben bereits die Segel gestrichen. In den Hallen am Gleisdreieck, wo die abc residiert, ist unter anderem ein Bretterverschlag aufgestellt, in dessen Innenraum eine Frau mit schwarzem Minikleid und High Heels am Boden liegt, die Arme in einen Holzkasten eingeklemmt. Ein vorbeikommender Vater zu seinem Sohn: „So, jetzt mal ’ne echte Frau von ’ner Peepshow.“ Wesentlich witziger und intelligenter als diese Lebend-Installation von Diego Bianchi erscheint mir das iPhone einer Besucherin, dessen Schutzhülle oben mit Playboy-Bunny-Ohren ausgestattet ist.

Sonntags unterwegs durch den Berliner Mauerpark. Es fühlt sich so an, als wäre ich im Ausland, denn ich sehe eigentlich nur fremde Kulturen und Ethnien. An meiner Seite eine Freundin mit ihrem zweijährigen Sohn, der vom Kindersitz auf dem Fahrrad aufgeregt den Arm nach links vorne ausstreckt und wiederholt ruft: „Da, Deutschland ... Deutschland.“ Schließlich wird klar, was er meint: die jungen Männer beim Fußballspiel. Als wir auf derselben Höhe sind, jongliert gerade ein Spieler sehr kunstfertig mit dem Ball. Es ist ein Afrikaner.

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