© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/14 / 03. Oktober 2014

Bei den Piraten gehen die Lichter aus
Niedergang: Angesichts des Austritts prominenter Mitglieder stellt sich für die Partei zunehmend die Existenzfrage
Henning Hoffgaard

Gefangen im Ein-Prozent-Ghetto. Bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen spielten die Piraten in der Liga der „Sonstigen“. Ein tiefer Fall für eine Partei, die angetreten war, dem politischen System ein „Update“ zu verpassen. Angesichts dieser Misere war die Nachricht, daß bei der am Wochenende in Hamburg gegründeten Partei „Neue Liberale“ auch einige Dutzend Piraten mitmischten, nicht mehr als eine Randnotiz. Dennoch zeigt sie, welche Probleme die Piraten derzeit haben.

Ihnen gehen schlicht die Mitglieder von der Stange. Innerhalb der Partei gibt es zwei Flügel, die schon lange nicht mehr konstruktiv miteinander arbeiten können. Der eine Flügel nennt sich „sozialliberal“ und will sich vor allem um Internet-Themen und Bürgerrechte kümmern. Der andere bezeichnet sich als „progressiv“ und will vor allem linksextreme Lobbyarbeit machen. Führende Vertreter der beiden Gruppen haben die Partei in den vergangenen Wochen und Monaten verlassen und dabei verbrannte Erde hinterlassen. Zuletzt kehrten gleich drei Abgeordnete der Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus ihrer Partei den Rücken. Auf ihre Sitze im Parlament wollen Christopher Lauer, Oliver Höfinghoff und Simon Weiß allerdings nicht verzichten. Auch bleiben sie als Parteilose weiter in der Piratenfraktion. Besonders der Abgang von Lauer zeigt, welches Klima parteiintern mittlerweile herrscht. Nach den Wahlniederlagen in Brandenburg und Thüringen beschimpfte Lauer, zu diesem Zeitpunkt noch Berliner Landesvorsitzender, Parteichef Stefan Körner auf Twitter als „Schwachmaten“ , der „Dünnpfiff“ verzapfe. Lauer gehört dem linken Flügel an, Körner und der Bundesvorstand dem sozialliberalen.

Körner reagierte prompt. Er schickte Lauer eine E-Mail mit dem harmlosen Betreff „Anhörung wegen beabsichtigter Ordnungsmaßnahme“. Dahinter verbarg sich der Versuch, Lauer wegen parteischädigenden Verhaltens abzusägen und ihm für zwei Jahre jedes Parteiamt zu verbieten. Der 30jährige kam mit seinem Rücktritt also nur der Absetzung zuvor. Höfinghoff, der mit linksextremen Eskapaden in Berlin immer wieder für Aufregung gesorgt hatte, und Weiß folgten dann im Abstand von einigen Tagen. Der Stellvertreterkrieg zwischen Bundesvorstand und Berliner Landesverband kam mit Ankündigung. Von Parteitag zu Parteitag wurde das Klima zwischen den Mitgliedern immer aggressiver. Zumindest nach außen gewann der linke Flügel immer mehr die Oberhand. Herrschte 2011 noch Aufbruchsstimmung, hingen drei Jahre später Antifa-Flaggen von den Tribünen. 2013 wählten die Piraten den Kandidaten der Linken, Thorsten Wirth, zum Vorsitzenden. Der Triumph schien total. Bis zum vergangenen Februar. Am Jahrestag der Bombardierung Dresdens ließ sich die Berliner Piratenpolitikerin Anne Helm halbnackt in der Stadt fotografieren. Auf ihrem Oberkörper prangte der Dank für die Vernichtung Dresdens 1945 durch alliierte Bomberflotten mit Zehntausenden Toten: „Thanks Bomber Harris.“

Der schweigenden Mehrheit platzte der Kragen. Internetseiten wurden lahmgelegt, drei Bundesvorstandsmitglieder traten zurück, und Massenaustritte drohten die Partei zu zerreißen. Der linke Flügel geriet in die Defensive und erlebte in Halle ein Debakel. Auf einem Parteitag der langen Messer fielen alle seine Kandidaten durch. Körner wurde neuer Parteichef, sein Vorgänger Wirth trat später aus. Auch Lauer hatte keine Chance. Der hatte sich um den Posten des Politischen Geschäftsführers beworben und wurde nach einer Brandrede wegen eines Formfehlers von der Wahl ausgeschlossen.

Seitdem spielten Lauer und Teile des Berliner Landesverbandes öffentlich mit dem Gedanken einer Parteineugründung oder der Abspaltung von der Bundespartei. Der Streit hat mittlerweile auch den letzten Landesverband erreicht. In Bremen (290 Mitglieder) erschienen Ende September gerade einmal 25 Personen zur Wahl der Landesvorsitzenden. Gegen Parteichef Körner verhängte der linke Landesvorstand kurzerhand ein Hausverbot. Körner kam trotzdem und wurde Zeuge, wie die „Progressiven“ eine weitere Niederlage einstecken mußten und die Partei verließen. Zuvor war es zum üblichen Streit um „Antifaschismus“ und „Homophobie“ gekommen, bei dem ein Mitglied, dem diese Begriffe zu unkonkret waren, von der Versammlung ausgeschlossen wurde.

Und nun? Ein wirksames Mittel gegen die Mitgliederflucht hat die Partei nicht. Von den fast 35.000 Anhängern 2012 sind noch etwas mehr als 25.000 übrig. Auf dem Papier zumindest. Nur 36 Prozent davon zahlen auch ihre Beiträge. Die Öffentlichkeitsarbeit ist durch Rücktritte zunehmend unprofessioneller geworden. Auch die lange angestrebte Ausweitung der Basisdemokratie geriet zuletzt zur Lachnummer. Ausgerechnet per Brief sollte der erste Basisentscheid stattfinden. Für eine selbsternannte Internet-Partei ist das eine Katastrophe. Bleiben immerhin noch die vier Landtagsfraktionen in Berlin, Schleswig-Holstein, dem Saarland und Nordrhein-Westfalen. Abgesehen von einigen Ausnahmen, sind die allerdings bereits wieder in der Versenkung verschwunden und müssen hoffen, daß es nicht zu schnellen Neuwahlen kommt. Laut Umfragen hat keine von ihnen die Chance auf einen Wiedereinzug.

Körner dagegen sieht die Krise positiv: „Ich sehe es als Chance, daß die schillernden, lauten Personen nun gegangen sind.“ Und weiter: „Ich glaube, daß wir uns gerade konsolidieren.“ Nach einem Plan allerdings klingt das nicht.

Foto: Flagge der Piratenpartei: Von einst 35.000 Mitgliedern sind noch 25.000 übrig

 

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