© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  41/14 / 03. Oktober 2014

Geist und Glanz Dresdens
Vermächtnis sächsischer Kurfürsten: Die Kunsthalle in München zeigt herausragende Gemälde aus der Barockzeit
Felix Dirsch

Manchmal ist es nicht leicht, für bedeutende Ereignisse passende Namen zu finden. Wenn der Interessent die Ankündigung der aktuellen Ausstellung in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung vernimmt, so muß er zwangsläufig annehmen, dort eine größere Zahl von Exponaten Rembrandts, Tizians und Bellottos betrachten zu können. Dem ist aber nicht so. Die genannten Maler sind nur die Spitze eines Eisberges herausragender Werke aus der Zeit des Barocks, die allesamt aus der Dresdner Gemäldegalerie stammen. Die Renovierung des Semperbaues macht es möglich, daß ein Teil des dortigen Bestandes auf Reise geht und somit ein Publikum erreicht, das größtenteils die betreffenden Bilder in der sächsischen Landeshauptstadt wohl nicht bestaunt hätte.

Die Sammlung, deren Nukleus nunmehr in München zu sehen ist, hat eine lange Tradition und reicht in ihren Anfängen zum Hof des sächsischen Kurfürsten August I. (der „Starke“ genannt) zurück. Sein Geschmack gab die Richtung im Hinblick auf den Erwerb der Stücke vor. Der Herrscher bestätigt die verbreitete Lehrbuchmeinung, die in der Repräsentation eine wichtige Funktion von Kunst im Zeitalter des Barocks (und nicht nur in dieser Epoche) annimmt.

Die Präsentation ist in sieben Schwerpunkte gegliedert: Höfische Welt in Sachsen. Das verheißene Idyll – Italien als Sehnsuchtsort; Charakterbild und Menschenbild. „Die schönste in der Welt“ – Winckelmann und die Gemäldegalerie. Kopie und Diskurs – Kunst, Künstler und Gelehrte. Pracht und Vergänglichkeit – Die Stilleben in der Dresdner Galerie. Die Dresdner Kunstakademie.

Zahlreiche Besucher – darunter Johann Joachim Winckelmann und Johann Wolfgang von Goethe – wollten den wertvollen Fundus bewundern, um sich inspirieren zu lassen. Vor einem solchen Hintergrund überrascht es nicht, daß in diesem Umfeld eine Akademie entstand, die bedeutende Künstler hervorbrachte. Christian Ludwig von Hagen ist ein bekannter Name, dem es gelang, renommierte Maler als Lehrer anzustellen. So entwickelte sich eine beinahe einzigartige Kunstszene, die bis heute Wirkung entfaltet.

Die 99, zum Teil hochkarätigen Bilder zu würdigen geht über das, was in einer Besprechung möglich ist, weit hinaus. Einige von ihnen seien namentlich erwähnt. Die für die Wahl zum polnischen König unabdingbare Konversion von Kurfürst August I. und seinem Sohn hatte zur Folge, daß aus dem katholischen Italien eine Reihe von Künstlern geholt wurde. Einen herausragenden Stellenwert für die Kunstgeschichte Dresdens besitzt Canaletto (eigentlich: Giovanni Antonio Canal). Besonders dessen Vedutenmalerei zählt zu den Höhepunkten der Ausstellung. Canalettos Schaffen wurde von seinem Neffen Bernardo Bellotto fortgesetzt, wobei nur der Fachmann in der Lage ist, die Techniken der beiden Verwandten zu unterscheiden.

Der Besucher erhält hier und da auch Einblicke in die reichhaltige Forschung über den Barock. So erfährt er unter anderem, daß das Gemälde „Bildnis eines Mannes mit Perlen am Hut“ im Umkreis von Rembrandt entstanden ist, aber wohl nicht vom Meister selbst angefertigt worden ist. Zu den namhaftesten Künstlern gehören neben den bereits genannten Anthony van Dyck, Diego Velázquez, Guido Reni, Carlo Dolci, Anton Raphael Mengs, Carlo Maratta, aber auch Philips Wouwermann, Claude Lorrain, Nicolas Poussin, um nur eine knappe Auswahl anzuführen. Das vielleicht bedeutendste Gemälde der Ausstellung, so sehr man auch mit Superlativen sparsam umgehen sollte, ist Rembrandts „Ganymed in den Fängen des Adlers“ (1635). Nicht von ungefähr ist der berühmte Niederländer der erste Namensgeber der Ausstellung. Mag man auch kritisch einwenden, daß etliches Zweitklassige aus den Depots stammt, so wird der Besucher beim Anblick solcher Bilder reich entschädigt. Die Video-Inszenierung der „Sixtinischen Madonna“ ist gleichfalls zu empfehlen, wenngleich sie das Original natürlich nicht ersetzen kann.

Bei einer solchen Ausstellung ist es kaum zu vermeiden, daß der Kritiker in der Lage ist, Marginalien zu bekritteln. Bei der Beschreibung eines Passionsbildes wird die Rute als Instrument der Geißelung dargestellt, was freilich unrichtig ist. Die Rute ist Zeichen der Verspottung des Herrn. Solche und andere Kleinigkeiten können nicht die Bedeutung der Ausstellung mindern. Sie zeigt zuallererst, daß das 18. Jahrhundert mehr zu bieten hat als nur Süßliches und Kitschiges, wie ein wohl kaum auszurottendes Vorurteil über diese Periode besagt.

Die Ausstellung „Rembrandt – Tizian – Bellotto. Geist und Glanz der Dresdner Gemäldegalerie“ ist bis zum 23. November in der Münchner Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstraße 8, täglich von 10 bis 20 Uhr zu sehen. Telefon: 089 / 22 44 12

Der empfehlenswerte Katalog (Hirmer-Verlag, 272 Seiten, ca. 200 Abbildungen in Farbe) kostet im Museum 25 Euro. www.kunsthalle-muc.de

Foto: Bernardo Bellotto, gen. Canaletto, Die Trümmer der ehemaligen Kreuzkirche zu Dresden, 1765

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