© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Bei Nacht und Nebel
Innere Sicherheit: Die Wirtschaft in Sachsen und Brandenburg stöhnt zunehmend über die Belastungen durch die Grenzkriminalität
Paul Leonhard

Die Innenminister Brandenburgs und Sachsens dürften wenig amüsiert sein: Die Kriminalitätsbelastung entlang der deutschen Außengrenze zu Polen und Tschechien ist überdurchschnittlich gestiegen. Diesmal sind es die Inhaber Tausender Handwerksfirmen im Grenzgebiet, die Alarm schlagen. So bewerten allein im Landkreis Spree-Neiße 90 Prozent der Betriebe laut einer Umfrage der Handwerkskammern von Dresden und Cottbus die Sicherheitslage als schlecht. Im Vorjahr waren es 47 beziehungsweise 30 Prozent. „Auch im engeren Verflechtungsraum des Berliner Umlands zeigen sich die Spuren der gestiegenen Deliktfälle“, heißt es in dem Papier.

Kontrollen rücken wieder an die Grenze

Auch im Kammerbezirk Dresden schätzen die befragten Handwerker die Sicherheitslage als unverändert schlecht ein. Daran ändert die von Innenminister Markus Ulbig (CDU) vorgelegte Statistik nichts, nach der die Zahl der Delikte in den 37 Gemeinden entlang der 577 Kilometer langen Außengrenze zu Polen und Tschechien 2013 um 4,3 Prozent auf 20.754 abgenommen hat und damit unterhalb der Fallzahlen vor dem Wegfall der Grenzkontrollen liegt. Neben dem für Unternehmer und Grenzlandbewohner relativ uninteressanten Anstieg der Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz, stieg die Zahl der erfaßten Diebstähle um 658 Fälle. Zwar nennt das Papier keine absolute Zahl, räumt aber ein, daß sich rund 11,2 Prozent aller in Brandenburg verübten Straftaten in den Grenzregionen ereignen. Die Aufklärungsquote stieg um vier Prozent auf 57,3 Prozent. Wie viele Täter sich tatsächlich vor einem Gericht verantworten oder gar zu ihren Taten angemessenen Strafen verurteilt wurden, wird nicht mitgeteilt.

Einbrüche und Diebstähle bestimmen längst den Alltag in den Grenzregionen Brandenburgs. So stieg der Diebstahl von Kraftfahrzeugen um 19 Prozent. Die Polizei schafft es nicht einmal, jeden fünften Fall aufzuklären. Die Zahl der gemeldeten Fahrraddiebstähle kletterte um 25 Prozent auf 2.284 Fälle, die der Diebstähle auf 753. Für gravierende Störungen der Produktion sorgen mitunter weniger der Verlust von Material oder Technik, als der von Kriminellen angerichtete Sachschaden. „Angst vor Kriminalität ist ein Standortnachteil“, sagt Jörg Dittrich, Präsident der Handwerkskammer Dresden: „Die Sicherheitslage trifft den Nerv unserer Betriebe, die keine Sicherheitstrakte sein können.“

Die schlechte Bewertung der Sicherheitslage zieht sich durch alle Gewerke. Besonders auffällig ist die Einschätzung im Bauhauptgewerbe, wo die negativen Rückmeldungen von 36 auf 63 Prozent anstiegen. Ähnlich sieht es im Ausbauhandwerk, in den Gewerken des gewerblichen Bedarfs und im Kfz-Handwerk aus. „Selbst die 2013 noch zufriedensten Gewerke Nahrungsmittel, Gesundheit und Personenbezogene Dienstleister zeigen eine wesentliche Unzufriedenheit mit der Sicherheitslage an“, heißt es in dem Papier.

Scharf kritisiert werden die Polizeireformen, die sowohl im rot-rot regierten Brandenburg als auch im bisher schwarz-gelb regierten Sachsen durchgeführt wurden. Mehr als zwei Drittel der Unternehmer schätzten die Polizeipräsenz als zu gering ein. In Cottbus sind es sogar 83 Prozent. Im niederschlesischen Landkreis Görlitz stiegt diese Zahl gegenüber 2013 um 23 Prozent auf nun 67 Prozent. Hier investiert jeder der befragten Betriebe durchschnittlich rund 20.000 Euro in Sicherheitsmaßnahmen, in der Stadt Dresden sind es lediglich 3.100 Euro.

Angesichts der zahlreichen Aktivitäten der Polizei in der Kriminalitätsbekämpfung und Gefahrenprävention sei „diese weiterhin kritische Einschätzung ein Stück verwunderlich“, staunen die Präsidenten der Handwerkskammern Cottbus und Dresden, Peter Dreißig und Jörg Dittrich. Sie erinnern an die im März angesichts der weiteren Internationalisierung von Tätergruppierungen angekündigte organisatorische Neuausrichtung der „Soko Grenze“, die Bildung deutsch-polnischer Ermittlungsgruppen und die Einrichtung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft für grenzüberschreitende Kriminalität in Frankfurt (Oder) in Brandenburg und die gemeinsamen Einsatzstreifen der Bundes- und Landespolizei auf der A4 und der A17 in Sachsen, die neue Sonderkommission Kfz-Diebstahl und den im sächsischen Polizeigesetz verankerten Einsatz von Kfz-Erkennungsgeräten. Auch hat Brandenburg inzwischen angekündigt, daß die Polizei mit ihren Kontrollmaßnahmen künftig räumlich enger an die Grenzübergänge zu Polen heranrücken werde. In Sachsen ist das an den Brücken über die Neiße bereits der Fall.

Die innere Sicherheit sei weiterhin ein wichtiger Gradmesser für die erfolgreiche Entwicklung des Handwerks in Südbrandenburg und Ostsachsen, mahnen die beiden Kammerpräsidenten. Die Sicherheitsarchitektur in den grenznahen Regionen müsse gestärkt werden. Etwa durch eine stärkere grenzübergreifende polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit, eine Erhöhung der Personalstärke an den Gerichten und bei der Polizei im Grenzgebiet. Insbesondere die gemeinsamen Fahndungsgruppen mit Polen und Tschechien seien aufzustocken. Auch sei die Ausstattung der Polizei dringend zu verbessern. Gefordert werden automatische Kennzeichenlesegeräte, interaktive Funkstreifenwagen, moderne Beweissicherungstechnik und zielgenaue Videoüberwachung.

Forderungen, die seltsamerweise bei der Polizei keinen Jubel auslösen. Vieles sei bereits realisiert, heißt es aus der Polizeidirektion Görlitz. Dank der Staatsregierung kämen regelmäßig Beamte der sächsischen Bereitschaftspolizei an der Grenze zum Einsatz, und ein weiterer Einsatzzug sei im Aufbau, zeigte sich Polizeipräsident Conny Stiehl pikiert: Er sei sich sicher, daß entlang der sächsischen Außengrenze „mehr Polizeibeamte rund um die Uhr offen und verdeckt im Einsatz sind als in jeder anderen Region“.

Foto: Ein Brandenburger Polizist führt ein Codiergerät vor, mit dem bei Dieben begehrte Bau- und Landmaschinen gekennzeichnet werden: „Angst vor Kriminalität ist ein Standortnachteil“

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