© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

„Klima des Mißtrauens“
Alternative für Deutschland: In einem Brandbrief ruft AfD-Chef Bernd Lucke die Mitglieder zur Ordnung und mahnt bei Auseinandersetzungen zur Mäßigung
Marcus Schmidt

In der vergangenen Woche ist Bernd Lucke der Kragen geplatzt. In einem Mitgliederrundbrief machte der AfD-Sprecher und Europaabgeordnete seinem Ärger Luft. „Bei allem Erfolg, den wir nach außen hin haben, geben einige Entwicklungen im Inneren der Partei Anlaß zur Sorge“, schrieb Lucke an die mittlerweile knapp 20.000 Mitglieder seiner Partei.

Lucke widmete sich einem Phänomen, daß ihn schon häufiger irritiert hatte, das er bislang aber zumeist mit einem verständnisvollen Lächeln ertragen hatte. Bis jetzt. Nicht zuletzt die Heftigkeit der Auseinandersezung in der Partei um die Zustimmung einiger EU-Abgeordneten der AfD zu einer rußlandkritischen Resolution hat Lucke spürbar zugesetzt. „Einige Mitglieder verlieren bei dem, was sie subjektiv als wohlgemeinten Einsatz für die Partei sehen mögen, das rechte Maß“, formulierte der Parteichef nun und warnte die Partei vor einem Klima des Mißtrauens, das durch überharte Auseinandersetzungen entstehe „und wie ein schleichendes Gift in die Partei sickert“. Kein Vorstand könne vernünftig arbeiten, wenn grundsätzliches Mißtrauen gegen ihn geschürt werde, schreibt Lucke mit Blick auf „Querulanten und Rechthaber“. Zum Fundament der AfD zähle die Meinungsvielfalt, die kritische, sachliche Auseinandersetzung mit dem Andersdenkenden, und der gesunde Menschenverstand, appelliert der Parteichef an die Mitglieder.

Auffällig ist, daß der Rundbrief, der in der Regel nur an die Mitglieder und Förderer verschickt wird, diesmal breit gestreut wurde. Das Schreiben sollte offenbar in die Öffentlichkeit gelangen. Der Brief erschien zu einem Zeitpunkt, an dem sich die schlechten Nachrichten für die Partei nach den Wahlerfolgen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg wieder häuften. So erhob in der vergangenen Woche die Staatsanwaltschaft Rostock gegen den AfD-Landeschef von Mecklenburg-Vorpommern, Holger Arppe, Anklage wegen Volksverhetzung. Arppe, der sich in einem Internetforum unter Pseudonym islamfeindlich geäußert haben soll, nannte die Vorwürfe zwar haltlos. Das Presseecho war dennoch verheerend. Kritiker sahen ihren Verdacht bestätigt, die AfD kippe nach rechts.

Rückzug vom Rückzug in Brandenburg

In seinem Rundbrief betonte Lucke vor diesem Hintergrund, „daß die AfD nicht den Schatten eines Zweifels daran lassen darf, daß politischer Extremismus, Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und religiöse Intoleranz mit dem Gedankengut der AfD als einer demokratischen Rechtsstaatspartei unvereinbar sind“.

Fast zeitgleich löste sich für die Partei allerdings ein ähnlich gelagertes Problem. Am Donnerstag vergangener Woche kündigte der Brandenburger AfD-Politiker Stefan Hein seinen Rückzug vom Rückzug an. Hein hatte Ende September auf sein Landtagsmandat verzichtet, nachdem er Parteiinterna an den Spiegel weitergegeben hatte. Doch sein Verzicht war nicht rechtskräftig. Unter dem Eindruck der Diskussion um seinen unter Antisemitismusverdacht geratenen Parteifreund Jan-Ulrich Weiß, der für ihn nachrücken sollte, entschloß sich Hein, das Mandat doch anzunehmen. „Die wahrscheinlich schwerste Entscheidung meines Lebens“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. Hein betonte, daß er seine Entscheidung ohne Rücksprache mit der Partei- oder Fraktionsführung getroffen habe. „Meine Mandatsannahme habe ich und nur ich zu verantworten, das wurde mit niemandem aus der Partei vorher besprochen“, bekräftigte er. Dafür spricht auch die Reaktion von Fraktionschef Alexander Gauland. „Ich bin sehr enttäuscht über den Wortbruch von Stefan Hein“, sagte er. Die AfD-Fraktion reagierte umgehend und schloß Hein aus der Fraktion aus.

Als fraktionsloser Abgeordneter wird er nun vorerst in der letzten Reihe zwischen CDU- und AfD-Fraktion sitzen. Aus der Partei habe er für seine Entscheidung dennoch überwiegend positive Reaktionen bekommen, versicherte Hein. „Was bleibt ist der Fehler an sich. und den habe ich zugegeben.“ Für Gaulands harsche Kritik hat er Verständnis. „Es bleibt ein beispielloser Vertrauensbruch, und ich hätte wahrscheinlich ähnlich argumentiert.“

 

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