© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

„Wir fühlen uns im Stich gelassen“
Übergriffe auf Asylbewerber: Ein Besuch in dem in die Schlagzeilen geratenen nordrhein-westfälischen Burbach
Hinrich Rohbohm

Die junge Mutter wartet mit ihren zwei kleinen Kindern am Burbacher Bahnhof auf den Bus. „Die Leute im Ort bekommen allmählich Angst“, sagt sie. Besorgt blickt sie auf die andere Straßenseite. Fünf junge Asylbewerber sitzen dort auf der Bank der gegenüberliegenden Haltestelle. Sie johlen, machen Witze, trinken Dosenbier. Mit ihnen ins Gespräch zu kommen ist schwierig. Sie sprechen kein Deutsch, auch kein Englisch. Ihre Blicke sind mißtrauisch. Zwei von ihnen können sich auf französisch artikulieren. Aus welchem Land sie kommen, wollen sie nicht sagen. Nur, daß sie jetzt in der ehemaligen Siegerlandkaserne von Burbach wohnen, bestätigen die Männer.

Die 14.000 Einwohner zählende Gemeinde in Nordrhein-Westfalen ist in den Fokus der Medienberichterstattung gerückt, nachdem bekannt wurde, daß Wachleute in der Kaserne Asylbewerber mißhandelt hatten. In einem von den Sicherheitsbediensteten selbst angefertigten Video ist zu sehen, wie einer von ihnen einem alkoholisierten Asylbewerber befiehlt, sich in sein Erbrochenes zu legen. Ein Handy-Foto zeigt einen Wachmann, der einem auf dem Bauch liegenden Heimbewohner seinen Stiefel in den Nacken drückt. Daß Asylbewerber geschlagen und gefesselt wurden, soll angeblich keine Seltenheit gewesen sein.

Die Zustände im Heim sind katastrophal

Unter den Wachleuten befanden sich offenbar auch äußerst fragwürdige Persönlichkeiten. Einer von ihnen, der 30 Jahre alte Hesse Markus H., ist bei der Polizei aktenkundig. Drei Ermittlungsverfahren wegen Diebstahl und Betrug waren gegen ihn bereits eingeleitet worden. Ein weiterer Wachmann, der 26 Jahre alte Markus K., hat sich das Wort „Haß“ an den Hals tätowieren lassen.

Der als Subunternehmer im Heim tätigen Sicherheitsfirma wurde inzwischen gekündigt. Künftig sollen die Lebensläufe von Sicherheitsbediensteten stärker durchleuchtet werden, ehe sie tätig werden können. Die Maßnahmen gegen die Asylbewerber seien ohne Erlaubnis des Betreibers European Homecare erfolgt. Dennoch werfen die Vorgänge in der Kaserne für den sozialen Dienstleister unangenehme Fragen auf.

Denn die Zustände im Heim sind offenbar katastrophal. Gegenüber der örtlichen Presse packte einer der Wachleute aus, spricht von vermüllten Duschen sowie Kot und Erbrochenem auf den Fluren, um dessen Beseitigung sich niemand gekümmert habe. Wer Ärger machte, sei in einem „Problemzimmer“ eingesperrt worden. Dort sei den Bewohnern selbst der Gang zur Toilette verwehrt worden. Sie hätten aus dem Fenster urinieren müssen.

Zudem sind die Sicherheitsbediensteten mit den Problemen in der Kaserne offenbar weitestgehend allein gelassen worden. Gerade mal ein halbes Dutzend Wachleute waren für die mit rund 750 Heimbewohnern vollkommen überfüllten Unterkünfte zuständig, in denen es immer wieder zu Schlägereien, aber auch zu Drogenhandel und Zwangsprostitution gekommen sein soll.

Eine koptische Christenfamilie mußte aus der Kaserne fliehen. Nachdem ihre Glaubensrichtung bekannt geworden war, sei sie mehrfach von Muslimen drangsaliert worden. Der 37 Jahre alte Vater Emile B. war vor einer der Unterkünfte von rund 50 Muslimen zusammengeschlagen worden. Seine sechs Jahre alte Tochter und sein drei Jahre alter Sohn hatten die Tat mit ansehen müssen. Einer der Wachleute konnte durch sein Eingreifen Schlimmeres verhindern.

Allein die Pressemitteilungen der Polizei zur Burbacher Asylunterkunft sprechen Bände: Schlägereien zwischen Nordafrikanern und Personen vom Balkan, Bedrohungen und Steinwürfe gegen Security-Mitarbeiter, Übergriff auf eine Schwangere sowie an Masern erkrankte Asylbewerber, die einen Sicherheitsbediensteten bespuckten, sind nur einige Fälle, die aus der Kaserne an die Öffentlichkeit gedrungen sind.

Polizei hält Zahlen zurück

Auf die Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT, wie viele Einsätze es seit Eröffnung des Asylbewerberheims gab, konnte die Kreispolizeibehörde Siegen-Wittgenstein keine Auskunft geben. „Da müssen wir erst unsere Statistiker fragen“, lautete nach einer Woche und mehrmaligem Nachfragen die Antwort. Gleiches gelte für die Frage, ob sich die Kriminalitätsbelastung seit der Heimeröffnung erhöht habe.

Unterdessen droht die Toleranz, die Burbachs Bürger den Asylsuchenden größtenteils entgegenbringen, in Unmut umzuschlagen. Zwar hätten viele Verständnis für die Situation der Flüchtlinge. Aber: „Von der Landesregierung fühlen wir uns im Stich gelassen“, beklagt sich ein Familienvater.

Der Grund: Eigentlich sollten die Asylsuchenden in Burbach lediglich registriert, medizinisch versorgt und dann auf andere Aufnahmelager in Nordrhein-Westfalen verteilt werden. Nur für vier Monate sollte die Siegerlandkaserne Asylsuchenden als Notunterkunft dienen. Die dadurch entstehenden Kosten würden vom Land getragen. Das jedenfalls hatte die Bezirksregierung Arnsberg der Gemeinde noch vor einem Jahr zugesagt. „Diesen Leuten in Düsseldorf und Arnsberg glaube ich gar nichts mehr“, schimpft ein Rentner, der sich vor allem über vermüllte Plätze ärgert. Schon lange bevor der Ort in die überregionalen Schlagzeilen geriet, beklagten sich Burbacher Bürger über junge alkoholisierte Heimbewohner, verstärkten Müll und zunehmende Diebstähle. „Was sich da oben in der Kaserne abspielt, bekommen wir ja nicht so mit. Aber wir sehen hier im Ort täglich viele junge Leute aus dem Heim vollkommen betrunken herumlaufen“, schildert der Rentner. Zwar seien keine Gewalttaten gegenüber Einheimischen bekannt. „Aber viele Mütter schicken ihre Kinder nur noch ungern alleine los.“

Eine Verkäuferin berichtet von Frauen, die sich nicht mehr auf den am Ortsausgang befindlichen Friedhof trauen. Dort, an einer Landstraße gelegen, kommen die Asylbewerber auf ihrem Weg in die zweieinhalb Kilometer entfernte Kaserne vorbei.

„Die liegen manchmal total alkoholisiert auf der Straße“, erzählt der Rentner. „Kein Wunder. Die ganze Zeit da in dem Heim, denen fällt da doch die Decke auf den Kopf“, meint seine Frau.

Moderate Töne kommen aus dem Büro des Burbacher Bürgermeisters. Zwischenfälle mit alkoholisierten Asylsuchenden habe es gegeben. Auch Ladendiebstähle, zumeist „Dinge des täglichen Bedarfs“ wie Shampoo oder Duschgel. Allerdings bedaure man, daß auch Straftaten den Heimbewohnern zugeordnet würden, die „definitiv von anderen Tätern“ begangen wurden.

Ladendiebstähle steigen sprunghaft an

„Unrat, wie Flaschen oder Plastikbeutel“, sei vor allem entlang der Landstraße vorzufinden. Dieser würde jedoch „auch von Flüchtlingen“ eingesammelt. Bei der Einrichtung der Notunterkunft sei man davon ausgegangen, daß die Zahl der Asylsuchenden wieder zurückgehen werde. Dies sei aufgrund der „globalen Krisen“ nicht der Fall. Von Bürgermeister Christoph Ewers beim Innenministerium eingeforderte finanzielle Entlastungen seien aus rechtlichen Gründen nicht zu erwarten.

Im Juni habe es eine Bürgerversammlung zum Thema Asylbewerberheim gegeben. „Aber geändert hat sich seitdem nichts“, empört sich eine andere Anwohnerin. Sie zweifelt inzwischen daran, daß die Asylbewerber tatsächlich auf andere Einrichtungen verteilt werden. „Einige Gesichter habe ich hier schon vor einem Jahr gesehen, die dürften dann doch gar nicht mehr hier sein“, wundert sich die Frau, die vor ihrer Haustür bereits mehrfach Polizeieinsätze aufgrund von Problemen mit Asylsuchenden erlebt hatte. Eines Nachts sei sie aufgewacht, weil sie vor ihrem Schlafzimmerfenster Stimmen hörte. Das sei zwar angesichts der nachts oft angetrunken zur Asylunterkunft zurückkehrenden Jugendlichen nichts Ungewöhnliches mehr. „Aber diesmal hörte ich deutsche Stimmen.“ Beim Blick aus dem Fenster sah sie drei Polizeieinsatzfahrzeuge und mehrere Beamte, die mit Taschenlampen die Gegend um das benachbarte Schwimmbad absuchten. „Die hatten da wohl wieder nach einigen Betrunkenen gesucht“, mutmaßt sie. In der Kaserne selbst herrsche Alkoholverbot. Die jungen Asylbewerber gingen daher in den Ort, besorgten sich Bier, Wein, Sekt, auch härtere Spirituosen.

In dem Bad hätten Asylbewerber schon des öfteren kleine Pool-Partys abgehalten. Ein Umstand, den nicht jeder im Ort gern sieht. „Ich muß mir eine Jahreskarte kaufen und die gehen da einfach ohne zu bezahlen rein und machen eine Fete“, meint ein leicht angesäuerter Grundstücksnachbar. „Na ja, das ist hier alles neu, vielleicht wissen sie gar nicht, daß man für das Baden zahlen muß“, zeigt seine Frau Verständnis für die Asylbewerber.

Weniger Verständnis haben dagegen die Angestellten der örtlichen Supermarktketten in Burbach. Mit Entstehen der Notunterkunft in dem Ort seien die Ladendiebstähle sprunghaft angestiegen. Der direkt am Bahnhof gelegene Discounter Aldi beschäftigt inzwischen einen eigenen Sicherheitsdienst. „Geklaut wird immer noch genug, aber es beruhigt unsere Nerven, wenn wir wissen, daß jemand da ist“, verrät eine Mitarbeiterin. Natürlich wisse sie nicht, ob es sich bei den Dieben auch tatsächlich um Asylbewerber handelt. „So etwas steht schließlich niemandem ins Gesicht geschrieben“, fügt sie hinzu.Die Angst mancher Anwohner dagegen schon.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen