© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Ein Staat in der Sackgasse
Bosnien-Herzegowina: Das Procedere um die Parlamentswahlen übertüncht die wahren Probleme des Landes / EU-Perspektive soll Dämme brechen
Detlef Kleinert

Der Hohe Repräsentant der Uno in Bosnien-Herzegowina, Valentin Inzko, macht keinen Hehl daraus, dem Balkanstaat einen „baldigen EU-Kandidatenstatus“ zu wünschen. Dies, so der österreichische Spitzendiplomat gegenüber der Tiroler Tageszeitung, „täte dem Land so gut“. Dies sei nicht nur „ein Balsam für das geschundene Volk“, sondern ebenso eine „Bestätigung für den politischen Kurs“ des Balkanstaates.

Letzterer hat jedoch keinen guten Ruf. Bosnien ist pleite. Die Wahlen am kommenden Wochenende werden dies nur für oberflächliche Beobachter verdecken. Denn es bewerben sich zwar rund 7.800 Kandidaten aus mehr als 70 Parteien oder Bündnissen, gewählt werden aber erfahrungsgemäß nun diejenigen, die stramm auf der Linie ihrer ethnisch-religiösen Liste verharren.

Genau das aber erscheint als Sackgasse in einem Land, das durch die „Verfassung“ von Dayton aufgespalten ist. Das in dieser Form erkennbar keine Zukunft hat und das seit 20 Jahren vom politischen Stillstand beherrscht wird. Dayton, das einst zu Recht als Errungenschaft gefeiert wurde, da es das Töten beendete, mutierte zum Zwangkorsett, das jeglichen Fortschritt verhinderte: zwei Entitäten, die sich feindlich gegenüberstehen, 150 Ministerien mit angeschlossenen Bürokratien, die das staatliche Budget ruinieren, eine Arbeitslosigkeit um die 44 Prozent, ein Minus-Wirtschaftswachstum – und keine politische Gruppierung, die dem Wähler ein politisches Programm anbietet. Es genügt, serbisch, kroatisch oder bosnisch zu sein.

Das zentrale Problem ist die Aufteilung in die „Föderation“ der Bosniaken und Kroaten einerseits und andererseits die „Republika Srpska“ mit jeweils eigenen staatlichen Strukturen. Deren Präsident Milorad Dodik spricht ganz offen davon, daß er vom gemeinsamen Staat nichts hält und sich ausschließlich an Belgrad orientiert. „Es zeigt sich, daß Bosnien als solches nicht funktioniert“, erklärt er, „wir sind in der Serbischen Republik besser aufgestellt, wir müssen unseren Staat bekommen.“ Sein Bund der Unabhängigen Sozialdemokraten (SNSD) dürfte auch in Zukunft in der RS das Sagen haben.

In der Föderation dürfte der zeitweise als Hoffnungsträger angesehene ehemalige Sozialdemokrat Željko Komšić, seit acht Jahren als Vertreter der kroatischen Volksgruppe im Staatspräsidium, mit seiner vor anderthalb Jahren gegründeten „Demokratischen Front“ gute Chancen haben, wiewohl auch er nicht als neue Kraft angesehen werden kann.

Daß er plötzlich aufsteht, um gegen Korruption und organisierte Kriminalität zu kämpfen, ist nicht zu erwarten. Wie in den 1990er Jahren wird auch weiterhin eine Machtelite regieren, die die Konflikte zwischen den Volksgruppen für sich ausschlachtet. Dies wurde in den vergangenen Jahren besonders deutlich bei den Privatisierungen von Wirtschaftsunternehmen. Mit zuweilen betrügerischen Methoden schanzten sich Politiker Firmen zu, die sie dann in die Pleite trieben. So schlossen in Tuzla Anfang dieses Jahres vier ehemalige Staatsunternehmen. Bei Massenprotesten in 33 Städten skandierten die Menschen daraufhin „Diebe raus, Diebe raus!“, und der Hohe Repräsentant zeigte Verständnis: „Es ist ein aufgestauter Unmut.“

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