© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Pankraz,
Thomas Hettche und das digitale Papier

Sehr drollig ein Vortrag des Axel-Springer-Vorstands Mathias Döpfner beim kürzlichen Zeitungskongreß in Berlin. Dem Mann war es um das „intellektuelle Charisma“ des klassischen Zeitungslesers zu tun, welches unter dem neuartigen, proletenhaften Datengeschiebe auf den Smartphones und Tablets doch sehr leide. Aber jetzt – hurra! – winke endlich Abhilfe, und zwar in Form des „digitalen Papiers“, nämlich hauchdünner, beliebig biegsamer Bildschirme, die der informationshungrige Gentleman zusammenrollen und leger unter den Arm klemmen könne wie die Papierzeitung alten Stils.

Die Buchverleger auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse treiben andere Sorgen um. Ihnen geht es nicht ums Charisma der modernen Bücherleser, sondern ums Bücherlesen überhaupt. Ihr Stichwort heißt „E-Book“. Verlage wie Suhrkamp („edition suhrkamp digital“) oder Hanser („Hanser Box“) eröffneten eigene E-Book-Abteilungen und glaubten dabei offenbar, daß sie ihr Geschäft lediglich quantitativ ausgeweitet hätten. Nun müssen sie realisieren, daß sich das Geschäft im Zeichen von E-Book vor allem qualitativ von Grund auf ändern wird. Man übertreibt nicht: Es ist eine Art Tsunami, der sich der Buchbranche nähert.

Erste anrollende Vorauswellen wirken noch harmlos, versprechen interessante Neuerungen. Allein schon die Aussicht, seine ganze Bibliothek in Form eines kleinen Lesegeräts jederzeit bequem mit sich herumtragen oder auch die Schriftarten und die Schriftgrößen der Texte jederzeit selbst festlegen zu können, stimmt heiter. Man fühlt sich eingeladen, auch inhaltlich in den Dateien herumzuwirtschaften. Kommentare und „Korrekturen“, die man in den „richtigen Büchern“ an den Rand kritzeln würde, wodurch die Ansehnlichkeit des Bandes schwer beschädigt würde, kann man im E-Book im Nu wieder löschen.

Aber schnell werden die Wellen höher. Autoren und Verleger durch das E-Book permanent unter Druck gesetzt, und der Druck nimmt zu, je weiter die Entwicklung voranschreitet. Wozu noch Verlage, fragt man sich bald, wenn literarische und wissenschaftliche Kommunikation auch ohne Satz und Druckerei möglich wird? Und wozu noch Autoren, wenn originale Schöpfungen im Handumdrehen beliebig verändert, gekürzt oder mit Shitstorm überzogen werden können und sich so über kurz oder lang in eine kollektivistische Qualle verwandeln?

Nicht nur der Buchhandel wird zerstört, sondern auch die Souveränität des Bücher schreibenden Autors. Soeben hat Thomas Hettche in der Neuen Zürcher Zeitung einen diesbezüglichen Seufzer ausgestoßen, der zu Herzen geht. „Wie alle digitalen Inhalte wird auch die digitalisierte Literatur, die Geschichten und Romane, die wir kennen, nach der Maßgabe von Stimulanz und Dämpfung korrigiert werden, unmerklich und stetig. (…) Doch solange es Bücher als physische Objekte gibt, bieten sie noch jenen autonomen und unveränderlichen Raum des Utopischen, in dem unsere Träume uns gehören.“

Kollege Ernst-Wilhelm Händler ist allerdings anderer Meinung. In einem Artikel in der Welt feiert er den „technischen Fortschritt in der Literatur“ via E-Book und Internet als eine Art Bewußtseinserweiterung („Bewußtseinsinput“) speziell für Romanschreiber: „In der nächsten Zukunft wird der Roman wohl eine eher geschlossene Form beibehalten. Die Ränder werden nicht zu sehr ausfransen. Das Kräfteverhältnis zwischen Verfasser und Leser wird sich nicht prinzipiell ändern (…) Auch Hybride zwischen den verschiedenen Formaten, die Romanbestandteile enthalten würden, scheinen am Horizont nicht auf.“

Ihr Wort in Gottes Ohr! kann man da nur wünschen. Aber es geht in Wirklichkeit ja gar nicht um das „Kräfteverhältnis“ zwischen Verfasser und Leser, sondern um das zwischen dem Autor und verbissenen Netzwerkstrategen, von denen einer ihrer Großideologen, indem er sich auf keinen Geringeren als Walter Benjamin berief, folgendes verlautbarte: „Es ist kein Zufall, daß die digitale Welt des Copy und Paste, die keinen Unterschied erlaubt zwischen Kopie und Original, den bürgerlichen Kult des Buchs zugunsten einer neuen, selbstbewußten Massenkultur auflöst.“

Und weiter in der Suada des Großideologen mit nur allzu bekanntem Klassenkämpfer-Duktus: „Anstatt also dem gedruckten Buch nachzuweinen oder gar zu versuchen, es durch Ornamente im bislang herrlich reduzierten E-Book zu imitieren, muß E-Book-Kultur davon handeln, den Prozeß der Demokratisierung, Säkularisierung und Rationalisierung der Schrift, der schon mit der Erfindung des Alphabets begann, zu beschleunigen.“

„Weg mit dem individuellen Autor und seiner Wichtigtuerei!“ lautet folgerichtig die Devise derjenigen, die solche Töne begierig aufnehmen, „es gibt keinen Autor, es gibt nur den Text, welcher ‘strömt’ und allen gehört.“ Sie sprechen von Vorstellungs- und Gefühlswelten, die mit einem sich ständig verändernden Schreiben und Lesen einhergehen und deren Gestaltung nur „die Masse“ ins Werk setzen könne, von „Resonanzschleifen“, die einzig und allein der strömende Text vollführt. Der Tsunami ist da.

Friedrich Forssmann, der berühmte Buchgestalter aus Nürnberg, Zentralgestirn auch auf der Frankfurter Messe, hält allfällige Alarmrufe dennoch für „reinen Unfug“. E-Books seien, meinte er kürzlich, „alberne Dateien, die gern Bücher wären, es aber niemals sein dürfen“. Doch wie artikulierte einst schon Karl Valentin? „Mögen hätten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut.“ Pankraz wäre auf jeden Fall vorsichtiger als Forssmann, besonders in Hinblick auf die von Ernst-Wilhelm Händler erwähnten Romanschreiber.

Geht man über die Messe, konstatiert man, daß es auch diesmal wieder unendlich viele neue Romane gibt, zu viele wahrscheinlich, Romane sind offenbar zur Massenware geworden, ohne sonderlichen autoriellen Einsatz, bedienen nur noch Klischees und Kritikerbedürfnisse. Vielleicht ist der Tsunami schon dagewesen, und es liegen nur noch Fetzen von digitalem Papier herum.

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