© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Zeitschriftenkritik: Eins
Durchbruch in die Freiheit
Werner Olles

Jugendliche aus dem Siegerland und aus Sachsen treffen sich im Sommer 1989 am Plattensee in Ungarn. Solche Ost-West-Begegnungen sind in der DDR nur unter strengster Observation durch die Stasi möglich. Doch in Ungarn gibt es bereits mehr Freiheit. Als Tausende Urlauber begreifen, daß die Grenze nach Österreich offen ist, lassen sie Trabi und Campingausrüstung zurück und nutzen die Chance zur Freiheit. Niemand stellt sich ihnen in den Weg, die ungarischen Grenzer schauen einfach weg. 32.000 DDR-Bürger wagen so den Weg in den Westen, während sich in der deutschen Botschaft in Prag über sechstausend Menschen versammeln und auf die Erlaubnis ihrer Ausreise in die Bundesrepublik hoffen, die ihnen nach bangem Warten schließlich von Bundesaußenminister Genscher unter riesigem Jubel verkündet wird. Als die Züge mit den Botschaftsflüchtlingen durch die DDR rollen, kommt es auf einigen Bahnhöfen zu dramatischen Szenen. Verzweifelte Menschen besetzen die Stationen, die Volkspolizei geht mit brutaler Gewalt vor, Hunderte werden verhaftet, Chaos bricht aus, die Fliehenden suchen in Kirchen Schutz.

Der 9. Oktober bringt schließlich die Wende. Über 70.000 Leipziger Bürger sind auf der Montagsdemonstration. Erstmals wird der Ruf „Wir sind ein Volk“ laut. Das massive Militäraufgebot läßt Schlimmstes befürchten, doch der mörderische Schießbefehl aus Berlin wird nicht befolgt. Ein NVA-Offizier bringt es auf den Punkt: „Wir waren auf alles vorbereitet, nur nicht auf Kerzen und Gebete.“ Der Anfang vom Untergang der sozialistischen DDR-Diktatur hat begonnen.

Die aktuelle Ausgabe (3/2014) des vierteljährlich erscheinenden Magazins der Evangelischen Allianz Eins befaßt sich als Schwerpunktthema mit dem „Wunder der Freiheit und Einheit“, das nunmehr seinen 25. Geburtstag feiert. „Wir konnten es alle nicht glauben, was unsere Augen ab dem 9. November dann sahen und erlebten“, schreibt Hartmut Steeb in seinem Editorial. Am Abend des 9. November stellt Günter Schabowski in der historischen Pressekonferenz das erneuerte Reisegesetz vor, kurz darauf strömen Tausende an die Grenzübergangsstellen in Berlin und erzwingen den freien Übergang in den Westteil der Stadt. Ein deutsches Wunder.

Das gebrochene Verhältnis der EKD zu Nation und Patriotismus beleuchtet Helmut Matthies. Während der Berliner Bischof Dibelius noch an der Einheit festgehalten hatte, schrieben führende Theologen wie Helmut Gollwitzer diese ab. Beim Evangelischen Kirchentag im Juni 1989 wandten sich sämtliche Kirchenleiter gegen das „Gerede von der Wiedervereinigung“, und der Weltkirchenrat samt deutschen Delegierten rief zu Fürbitten für die Einheit Koreas auf. Manfred Stolpe hielt die Einheit für „objektiv friedensgefährdend“, der Wittenberger Synodale Schorlemmer plädierte ebenso für die Teilung wie der EKD-Präses Jürgen Schmude. Nicht einmal Kirchenglocken durften am 3. Oktober läuten.

Kontakt: Bundes-Verlag. Postfach 4065, 58426 Witten, Telefon: 023 02 / 9 39 93-0. Das Einzelheft kostet 3 Euro. www.ead.de

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