© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Abgeschaltet
Ukraine-Konflikt: Russen und Ukrainer werfen sich gegenseitig Beschneidung der Pressefreiheit vor
Ronald Gläser

Großer Medienrummel um Eugenia Korolewa und Max Wasilenko. Die beiden russischen Reporter der Zeitung Krim-Telegraph wurden im August in der Ostukraine von Anhängern des ukrainischen Rechten Sektors gefangengenommen und erst nach einigen Tagen wieder freigelassen.

Für die russische Kriegspropaganda war diese Entführung ein willkommenes Ereignis. Die Russen organisierten Demonstrationen für die Freilassung der Journalisten und begleiteten die Rückkehr der beiden Kriegsberichterstatter nach Simferopol mit großem Tamtam. So ist es den Russen für einen Augenblick gelungen, den Schwarzen Peter im Zusammenhang mit Einschränkungen der Pressefreiheit den Ukrainern zuzuschieben.

Zudem sind die Russen klug genug, ausländische Korrespondenten nicht bei ihrer Arbeit zu behindern. JF-Reporter Billy Six, der den Umsturz im März und April selbst miterlebt hat, erinnert sich nur an einen einzigen Vorfall bei der Einreise, bei dem er Ärger mit den neuen Machthabern gehabt hat: „Ansonsten habe ich mich frei gefühlt wie ein Vogel – über alles geredet und Fotos gemacht. Wenn es Probleme auf der Straße gab, dann durch einfache Leute.“

Das Postgeheimnis existiert nicht mehr auf der Krim

Einheimische Journalisten von der Krim haben da weniger schöne Erfahrungen gemacht. Ganz anders etwa wird die Lage in Litki, 831 Kilometer weiter nördlich, geschildert. In dem Städtchen in der Nähe von Kiew sind Flüchtlinge in einem Ferienheim der Kiewer Metro untergekommen. 120 Ukrainer und Tataren aus der Ostukraine und von der Krim leben hier.

Eine von ihnen ist Galina, eine 74jährige Opernsängerin, die die Welt nicht mehr versteht. Sie berichtet über die Zeit nach der Annexion durch die Russen: „Ich schrieb einer Freundin in Simferopol einen Brief, aber der kam geöffnet bei ihr an – so etwas habe ich meinen Lebtag nicht erlebt.“ Galina verkaufte all ihren Besitz und floh nach Norden.

Die Einschränkung des Postgeheimnisses ist nicht der einzige Eingriff in die Bürgerrechte. Neben Galina auf dem Sofa sitzt Nadeschda Rakitina, die ehemalige Inhaberin von einem der größten privaten Radiosender auf der Krim. Bis zum 13. Dezember 2013 war Radio Morion auf Sendung. Schon damals, also lange vor der Maidan-Revolution, wurde es von Janukowitsch-Anhängern mundtot gemacht.

Wie es dazu kam, berichtet Nadeschda Rakitina: „Wir haben den Maidan unterstützt, obwohl auf der Krim bis zu 90 Prozent der Leute Janukowitsch unterstützt haben.“ Dann seien plötzlich Bewaffnete in das Studio eingebrochen und hätten die Technik geklaut. Der Strom wurde abgestellt. Die Miliz sei nicht gekommen.

„Wir waren die ersten, die behindert wurden.“ Der unabhängige Tatarensender ATR habe länger durchgehalten, sei aber inzwischen auch geschlossen. Am 8. März schalteten die Russen den Sender ab, am 24. März wurden die Geschäftsräume des Inhabers Lenur Islyamow durchsucht. Im selben Monat wurde der Empfang sämtlicher ukrainischen TV-Sender auf der Halbinsel unterbunden.

Ein Journalistenverein hat Nadeschda Rakitina und ihren Mann, mit dem sie den Sender 26 Jahre lang betrieben hat, nach Kiew geholt. Sie sagt, sie möchten gern zurück, und weiß doch, daß dies kaum passieren wird. Radio Morion hatte zwischen 300.000 Hörern im Winter und 1,5 Millionen im Sommer. Er beschäftigte 60 Mitarbeiter, von denen viele die Flucht ergriffen haben.

Auch ukrainischsprachige Zeitungen haben es nicht leicht. Nicht nur, weil ein Teil ihrer Leser die Flucht ergriffen hat. Der ukrainische Staatssender Radio 1 berichtete im Juni über Behinderungen von Redaktionen, die aus ihren „gemieteten Räumen vertrieben wurden“ und deren Zeitungen von Kiosken nur noch mit staatlicher Speziallizenz verkauft werden dürften. Dies sei beispielsweise mit der Zeitung Krymska Switlyzja geschehen.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker sieht die Pressefreiheit „angespannt“ und „bedroht von Verstößen“. Sie nennt folgende Medien, die ihre Arbeit nicht mehr fortsetzen konnten: die Nachrichtenagentur An Krim, die Onlinezeitung Sobytija Kryma, die Zeitung Krymskoe Wremya und die Wochenzeitung Respublika.

Foto: Bürgerkriegsflüchtling Nadeschda Rakitina (links), entführte russische Reporter Eugenia Korolewa und Max Wasilenko: Schwarzer Peter

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