© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Energiewende auf chinesisch
Das rote Riesenreich verbraucht ein Fünftel der Weltenergie / Peking will Kernkraft massiv ausbauen
Dieter Menke

In absoluten Zahlen ausgedrückt ist China mit zehn Milliarden Tonnen Kohlendioxid-Ausstoß weltweiter Tabellenführer vor den USA mit 5,5 Milliarden. Setzt man diesen Emissionsrekord in Relation zu Chinas Bevölkerung von mehr als einer Milliarde Menschen, während die USA nur den fünften Teil davon aufweisen, bleibt das Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten allerdings der Klimakiller Nummer eins auf diesem Planeten. Was auch an Produktion und Verbrauch von Benzintreibstoffen abzulesen ist: den 450 Millionen Tonnen Chinas stehen 870 Millionen in den USA gegenüber.

Trotzdem scheinen solche Vergleiche die Dirigenten der am stärksten wachsenden Volkswirtschaft der Welt umweltpolitisch nicht zu beruhigen, wie Rolf Schmidt, Honorarprofessor an der TU Nanjing und Geschäftsführer eines Stuttgarter Beratungsunternehmens der Öko-Branche, optimistisch versichert (Nachrichten aus der Chemie, 9/2014).

Die die Wirtschaftsreform zu Lasten der Umwelt besinnungslos vorantreibende Regierung sieht sich seit kurzem offenbar gezwungen, das Ruder endlich herumzureißen: Die katastrophale Luftverschmutzung mit ihrem hohen Anteil an lungengängigem Feinstaub bringt Peking und andere Metropolen periodisch an den Rand des Ausnahmezustandes (JF 28/14).

Inzwischen wähnen sich die autoritären roten Kader irrigerweise sogar auf dem besten Weg zu mehr Energieeffizienz, da die Vorgabe des zwölften Fünfjahresplanes, bis 2015 den Ausstoß von Kohlendioxid um 17 Prozent zu reduzieren, aktuell zu elf Prozent erfüllt worden ist.

Die wesentlich steinigere Wegstrecke, die den partiellen Abschied von der wachstumsfixierten Tonnenideologie und den „Großen Sprung“-Phantasien maoistischen Angedenkens bringe, stehe den Pekinger Planern bis 2020 und dann weiter bis 2030 indes noch bevor. In sechs Jahren sollen alle Fabriken mit hoher Luftverschmutzung schließen, Heizungssysteme technisch verbessert oder auf Erdwärme umgestellt sein. Im öffentlichen Nahverkehr will man mehr für die Elektromobilität tun. Bis 2030 glaubt man, den ökologisch bedenklichsten Einsatz des Energieträgers Kohle auf die Hälfte des heutigen Verbrauchs absenken zu können.

Deswegen dürften bis dahin mehr als 1.700 kleinere Kohlengruben geschlossen sein. Kohle werde bald überwiegend der Herstellung von Synthesegas und Methanol dienen. Die Kraftwerke der westchinesischen Kohleregionen bringen dann über Fernleitungen Strom an die energiehungrige Pazifikküste. Fünf Ultrahochspannungs-Gleichstromleitungen sind bereits in Betrieb.

Ausbeutung von Ölfeldern im Irak und in Kanada

Schmidts fast euphorische Einschätzung, wonach sich „Chinas Energiemix“ rasant wandle, weist jedoch aus dem Blickwinkel der deutschen Energiewende zwei gravierende Schönheitsfehler auf. Zum einen setzt das Reich der Mitte, das 2013 ein Fünftel der auf der Welt erzeugten Energie verschlang, weiter auf brachiale Ausbeutung nicht erneuerbarer Energie. So habe der Staatskonzern Petrochina in vier große Öl-Bohrstellen im Irak investiert und im April 2014 ein riesiges Ölsandgebiet in Kanada erworben. Die ebenfalls staatliche China National Offshore Oil Corporation erkundet gemeinsam mit Island Energiereserven in der Arktis. Und neben der für steigerungsfähig gehaltenen Erdölförderung solle sich der Anteil von Erdgas am „Energiemix“ schon bis 2020 verdoppeln.

Zum andern zeigen sich Chinas Ener­giestrategen, im krassen Gegensatz zu Angela Merkels Panikreaktion, unbeeindruckt vom japanischen KKW-Desaster in Fukushima. 19 Atommeiler sind derzeit in der bevölkerungsreichen Küstenregion in Betrieb. Mit den von ihnen erzeugten 17 Gigawatt tragen sie aber nur kümmerliche zwei Prozent zur Energieproduktion bei. Das soll sich bis 2030 radikal ändern. China ersetzt Kohle durch Kernkraft. Geplant ist der Ausbau auf 200 Gigawatt, die mit einer KKW-Massierung in Zentralchina erreicht werden sollen. Daneben sehen die nächsten drei Fünfjahrespläne vor, verstärkt auf nichtfossile Energieträger (Wind, Wasser, Sonne, Geothermie, Biomasse) zurückzugreifen und die in China noch exotisch-europäisch wirkenden energieeffizienten Gebäude zu fördern.

Vertraut man dem auf seine globale Vorreiterrolle pochenden Bundesumweltministerium, so habe die international beschickte Carbon Expo, die im Mai 2014 in Köln stattfand, gezeigt – wie primär die Fortschritte beim Klimaschutz in Gebäuden bestätigten –, daß China wenigstens auf diesem peripheren Sektor ein gelehriger Schüler der deutschen Energiewende sei (Umwelt, 9/2014).

Foto: Bau eines neuen Kernkraftwerks in der ostchinesischen Provinz Jiangsu: Der Fünfjahresplan sieht vor, den CO2-Ausstoß zu reduzieren

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