© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/14 / 10. Oktober 2014

Frisch gepresst

Ausländerkriminalität. Wer in Deutschland den Ghetto-Chic sucht, mit dem sich der standesbewußte Gangsta-Rapper umgeben möchte, wird am ehesten in Neukölln fündig. Zwar ist der Berliner Bezirk nicht anders als Duisburg-Marxloh, Hamburg-Billstedt und wie die sozialen Brennpunkte alle heißen. Doch besitzt keiner diesen gewissen negativen Glam-Faktor. So findet die literarische Verarbeitung vor allem hier statt. Den Anfang machte Güner Balci 2008 mit „Arabboy“. Nun legt Christian Stahl mit den „Gangs von Neukölln“ nach. Gelungen ist ihm mit dem Porträt des heute 23 Jahre alten, libanesischen „Intensivtäters“ Yehya E eine intime Darstellung der Neuköllner Verhältnisse, die selbst für Kenner Neues bereithalten wird. Das alles trotz einer ungeheuren Naivität, mit der Stahl seinen jungen Helden begleitet und die das Buch häufig unfreiwillg komisch macht. Beispielsweise, wenn sich der kleine Yehya so sehr Klavierunterricht wünscht, aber die Familie sich diesen nicht leisten kann – und statt dessen den Sprößling in eine Boxschule schickt. Aber wahrscheinlich brauchte es erst diese Naivität, um solche und andere lesenswerten Einblicke in eine sonst abgeschottete Welt zu erhalten. (FA)

Christian Stahl: In den Gangs von Neukölln. Das Leben des Yehya E. Hoffmann & Campe, Hamburg 2014, broschiert, 256 Seiten, 17,99 Euro

 

Volksbegriff. Politiker der etablierten Parteien sprechen von den „Menschen in unserem Land“, aber vom „deutschen Volk“, immerhin dem Souverän des Staates, nicht mal mehr in Sonntagsreden. Im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien kommt der Begriff „Volk“ lediglich in bezug auf die Sorben vor. Für den Ethnologen Christian Böttger geht das Verschwinden des Volksbegriffs aus dem Sprachgebrauch wie dem wissenschaftlichen Diskurs aus einer subtilen Absicht hervor. Die Quelle des Übels macht der Autor, früher Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften der DDR, in der einflußreichen amerikanischen Kulturanthropologie und ihrer „Dekonstruktion“ aller gewachsenen kollektiven Identitäten aus (One-World-Ideologie), ferner in den „mechanistischen Irrlehren“ der Aufklärung. Daß jedoch Ethnogenese wahrhaftig real, nicht konstruiert ist, weist Böttger anhand der Ethnos-Theorie des sowjetischen Ethnologen Lew Gumiljow am Werden unseres eigenen Volkes nach. (ru)

Christian Böttger: Ethnos. Der Nebel um den Volksbegriff. Lindenbaum Verlag, Schnellbach 2014, broschiert, 408 Seiten, 24,80 Euro

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