© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/14 / 17. Oktober 2014

„Ich möchte meinem Land dienen“
Björn Höcke führt die AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, der sich am Dienstag konstituiert hat. Wer ist der neue Fraktionschef?
Moritz Schwarz

Herr Höcke, bringen Sie die AfD auf „stramm rechten Kurs“, wie der „Spiegel“ schreibt?

Höcke: Was ist ein „rechter Kurs“? Aus der Einschätzung des Spiegels springt mich die ganze Trivialität dieser Zeit an. Ohne die Begriffe „rechts“ und „links“ zu klären, werden wir die Politik nicht zum Guten wenden können. Im übrigen engagiere ich mich nicht, um eine Ideologie durchzusetzen, sondern weil ich einen Leidensdruck habe.

Inwiefern?

Höcke: An sich reizt mich Politik nicht, dort muß man so viele menschliche Niederungen durchschreiten, hat mit soviel Banalitäten zu tun. Aber ich sehe die großen, existentiellen Krisen, an denen mein Land leidet: die Banken-, Währungs- und Staatsschuldenkrise, die demographische Krise und die Frage nach einer verträglichen Einwanderung. In dieser Lage möchte ich meinem Land dienen.

Klingt pathetisch.

Höcke: Haben Sie Kinder?

Nein.

Höcke: Ich glaube, hätten Sie welche, würden Sie so eine Feststellung nicht treffen. Ich habe vier und ich erlebe, daß ein Mensch mit Kind ganz anders mit Natur und Kultur umgeht: Er versucht zu bewahren, Tragendes zu tradieren, er denkt und verhält sich so, daß sein eigenes Sein und Wirken überflüssig werden – also nachhaltig. Im Grunde tut er das aus Eigeninteresse, weil er sich im Kind transzendiert, sprich wiederentdeckt und wiedergeboren sieht. So wird ihm das große Ganze wichtig, und ihn bewegt auch das, was über den Raum und die Zeit seiner eigenen Existenz hinausreicht.

Sie sagen, Sie sähen Ihre Partei auf einer „historischen Mission“, wollten „preußische Tugenden“ wiederbeleben und für ein „neues Dienstethos in der Politik“ werben.

Höcke: Die „historische Mission“ der AfD sehe ich darin, das erstarrte Parteiensystem zu erneuern und ideologisch verkrustete Politikansätze durch unideologische politische Lösungen zu ersetzen. Folge von Erstarrung und Verkrustung ist zudem die Dominanz eines Politikertypus, der sich nicht dem Dienst an Volk und Vaterland verschrieben hat, sondern dem persönlichen Fortkommen. Dem möchte ich wieder den Typus des dienenden Politikers, der erfüllt ist von preußischem Dienstethos, entgegensetzen. Wobei ich mit „preußisch“ nicht eine historisierende Kategorie meine, sondern das überzeitliche Preußen.

Also stimmt es, daß Sie ein konservativer Exponent sind?

Höcke: Alle Werte sind dekonstruiert, alle Tabus gebrochen, der öffentliche Raum vernutzt und der einzelne materialisiert. Ich könnte fortfahren. Ich sehe keine liberalen oder sozialistischen Antworten auf den fortgeschrittenen Verformungsprozeß des Substantiellen.

Der Blog „Sezession“ schreibt: „Durch die Siege in Brandenburg, Sachsen und Thüringen ist der konservative Flügel der AfD zu einem mächtigen Faktor geworden.“ Sehen Sie sich mit Alexander Gauland und Frauke Petry als rechte Phalanx gegen die eher liberal und christlich orientierte AfDFraktion in Brüssel?

Höcke: Ich sehe keine Phalanx. Auch ist die „Brüsseler Fraktion“ vielgestaltig. Was zutrifft, ist die Einschätzung, daß durch die drei neuen Landtagsfraktionen, die ich als konservativ-patriotisch definieren möchte, das Konservative in der Partei an Gewicht gewonnen hat. Das geht aber keineswegs mit einem Triumphalismus einher. Die AfD hat ein konservativ-liberales Credo und auch den Konservativen ist klar, daß das Liberale dazugehört. Sogar ich als Konservativer habe liberale Seiten.

Zum Beispiel?

Höcke: Zum Beispiel halte ich den Wert der Meinungsfreiheit hoch! Überhaupt haben die klassischen Freiheitsrechte für mich einen hohen Stellenwert. Diese von unseren Vorfahren erstrittenen Rechte gegenüber dem Staat sind die Grundlage einer emanzipierten Bürgergesellschaft.

Sie meinen die Meinungsfreiheit der Konservativen gegenüber der Political Correctness?

Höcke: Nein, Freiheitsrechte haben nur einen Sinn, wenn sie jeder Bürger genießt. Ich persönlich sehe mich, wie gesagt, zwar als jemanden, der frei ist von teleologischen Vorstellungen. Also der Idee, es gäbe ein ideologisches Ziel der politischen Menschheitsgeschichte – was im übrigen nicht heißt, daß ich nicht über eine Eschatologie verfügen würde. Ich schätze als offener und interessierter Mensch aber gerade radikales Denken, gleich ob es sich mit meiner Meinung deckt oder nicht. Radikal meine ich dabei im Sinne der Wortherkunft „Radix“: „die Wurzel“. Sie können sich also darauf verlassen, daß ich in jedem Fall für die Meinungsfreiheit einstehe – auch für Linke, auch für Rechte.

Dann machen wir die Probe aufs Exempel: Was halten Sie von der DDR-Unrechtsstaat-Debatte?

Höcke: Ich kann verstehen, daß sie geführt wird, auch wenn mir vor der politischen Instrumentalisierung der Vergangenheit graut.

Die Debatte ist für Sie kein Skandal?

Höcke: Nein, warum?

Zum Beispiel weil sie eine Entsolidarisierung mit den Opfern bedeutet oder eine Relativierung der Rechtsstaatlichkeit als Wert.

Höcke: Die DDR war eine totalitäre Diktatur, was bedeutet, daß auch angepaßtes Verhalten Verfolgungsdruck nicht ausschloß. Das ist wohl unbestritten. Aber eine freie Gesellschaft muß auch andere Meinungen dazu zulassen.

Dann müßten Sie auch eine Debatte darüber begrüßen, ob das Dritte Reich ein Unrechtsstaat war. Finden Sie das nicht skurril?

Höcke: Ich meine, daß es in einer freien Gesellschaft möglich sein muß, auch über das Dritte Reich unorthodoxe Meinungen zu äußern, auch wenn ich bezweifle, daß wir hier eine erneute Unrechtsstaat- oder Totalitarismusdebatte brauchen. Ich glaube aber, das Problem ist ein anderes: „Unrechtsstaat“ impliziert für viele Menschen Unrecht in Permanenz. Tatsächlich hat es auch in totalitären Staaten beispielsweise Gerichtsurteile gegeben, die ebenso in einem demokratischen Rechtsstaat gefällt worden wären. Weiterhin sind da viele persönlich positive Erinnerungen an diese Zeit – Stichwort: Jugend, erste Liebe, Freundschaften. Daher wehren viele Leute sich gegen eine scheinbar pauschale Verurteilung der Zeit. Ich verstehe das und respektiere die persönlichen Erfahrungen der Menschen, gleichgültig über welche Epoche wir jetzt reden. Gleichwohl sage ich in der Sache: Natürlich waren DDR und Drittes Reich Unrechtsstaaten, besser: totalitäre Staaten.

Die Medien zitieren ehemalige AfD-Liberale, die klagen, in der Partei beschneide eine konservative Politische Korrektheit die Meinungsfreiheit. Alarmiert Sie das?

Höcke: Ich erlebe die Debatte bei uns als offen.

Sie nehmen diese Kritiker nicht ernst?

Höcke: Sicher, aber ich erlebe es anders.

Warum verlassen diese Leute die Partei?

Höcke: Da kann ich nur mutmaßen. Es gibt einige, die lieber austreten, wenn sie sehen, daß sie sich mit ihrer Position vielleicht derzeit nicht durchsetzen können. Natürlich haben wir als Parteineugründung zudem das Problem, viele „Offiziere“ und wenig „Mannschaften“ zu haben. Wenn dann einige „Offiziere“ nicht auf Anhieb die Führungsämter bekommen, die sie sich gewünscht haben, gehen sie. Und natürlich stürzen sich dann die Medien auf sie.

Die „Bild am Sonntag“ warnt, in der Partei tobe ein „erbitterter Machtkampf“ zwischen „Rechtspopulisten“ und Liberalen.

Höcke: Hinter dieser durchsichtigen Zuspitzung verbirgt sich ein demokratischer Prozeß. In der ersten Phase des Organisationsaufbaus der Partei sind vor allem im Westen liberale Kräfte in die Führungsetagen eingezogen. Dann erst bildete sich die Basis aus und diese ist, so meine Beobachtung, bundesweit überwiegend eher konservativ verortet. Daher mag beim oberflächlichen Beobachter der falsche Eindruck entstehen, eine ehemals liberale Partei werde nun konservativ gekippt. Das ist falsch, vielmehr vollzieht sich nichts weiter als die parteiinterne Demokratie, durch die das konservative Moment mit Verzögerung nun verstärkt zum Vorschein kommt.

Bundessprecher Bernd Lucke hat allerdings gerade in einem Rundbrief selbst davor gewarnt, daß die AfD ein Querulantenproblem habe, und in einem Zeitungsinterview dem Vorwurf zugestimmt, daß es in letzter Zeit in der Partei „relativ viele (rechtsextreme) Einzelfälle“ gegeben habe.

Höcke: In all diesen Fällen ist gehandelt worden. Aber ganz ehrlich, ich bin im Wahlkampf gefühlte tausendmal gefragt worden, wie ich mich „gegen Rechts“ abgrenze – ich kann die Frage nicht mehr hören! Ich habe gefühlte tausendmal klargestellt, daß rechts nicht gleich rechtsextrem ist und daß Rechtsextreme, also Ideologen, in der AfD fehl am Platz sind. Auf der anderen Seite sollten wir uns aber auf keinen Fall in eine notorische Abgrenzeritis gegen alles und jeden hineintreiben lassen.

Thilo Sarrazin warnt: „Über die Zukunft der AfD entscheidet ihre ... glaubwürdige Abgrenzung nach rechts.“ Wobei er mit „rechts“ wohl rechtsextrem meint.

Höcke: Dann soll er auch den Begriff „rechtsextrem“ verwenden! Ich sehe die Problematik, und natürlich muß man sich in der Politik auch klug verhalten. Nur dürfen wir uns auf keinen Fall in Abwehrgefechten zerreiben.

Es geht darum, daß sich die AfD als seriöse, bürgerliche Kraft behaupten muß. Das kann sie nur, wenn sie den Kampf gegen den Narrensaum konsequent führt.

Höcke: Richtig. Aber auf der anderen Seite muß man bedenken, daß die, die von uns Abgrenzungsverhalten verlangen, jene sind, die an der Macht sind und sich die Begriffe gefügig gemacht haben. Wenn wir uns diesen unterwerfen, zerstören wir den Erneuerungsansatz der Partei. Folgen wir den Denk- und Begriffsvorgaben des politisch-medialen Establishments, haben wir keine Chance, dessen Zukunftsverhinderungspolitik zu beenden, die alles das gefährdet, was wir wertschätzen. Und ich kann nur warnen: Es gibt an der Basis eine verbreitete Angst, die Parteiführung könnte von den informellen Gesetzmäßigkeiten der etablierten Politik absorbiert werden und sich zu weitgehend anpassen, um nicht anzuecken. Das kann die Partei zerstören! Ich halte nichts von einem internen „Kampf gegen Rechts“, sondern setze auf einen Ausgleich zwischen konservativem und liberalem Element.

Und was tun Sie, um das liberale Element in der Partei zu stärken?

Höcke: Zum Beispiel begrüße ich, daß Hans-Olaf Henkel im Wahlkampf im kommenden Jahr in Hamburg für einen liberal ausgerichteten Landesverband streiten möchte. Wobei ich nochmals klarstellen möchte, daß liberal in der AfD klassisch liberal bedeutet, nicht zeitgeistig linksliberal.

Konkret?

Höcke: Was uns heute gemeinhin als liberal verkauft wird, hat mit wirklichem Liberalismus kaum noch etwas zu tun. Liberalismus ist nicht Hedonismus, Permissivität und Ichbezogenheit, das ist eine vulgäre Schwundstufe. Liberalismus, das sind klassische Freiheitsrechte und Abwehr des Ideologischen.

Wie liberal sind Sie etwa in der Frage der Einwanderung?

Höcke: Es gab in Deutschland schon immer Einwanderung, das ist klar. Heute aber sind wir mit einer Einwanderung konfrontiert, die jedes historische Maß übersteigt. Dabei sind wir – wie alle europäischen Nationen – kein klassisches Einwanderungsland. Wir beziehen unser Selbstverständnis nicht aus einem reinen Willensakt, sondern sind historisch gewachsen. Deshalb müssen wir in der Einwanderungspolitik auch von der Vorstellung der Integration weg- und hin zum Leitbild der Assimilation kommen.

Was ist der Unterschied?

Höcke: Integration ist Angleichung beider Seiten. Es hat aber bis heute keiner die Deutschen je demokratisch befragt, ob sie das tatsächlich wollen – sich den Einwanderern anzugleichen. Assimilation dagegen bedeutet, daß sich die Einwanderer der Gesellschaft anpassen – was nicht heißt, im Privaten ihre Herkunftskultur aufzugeben, aber diese eben unseren äußeren Verhältnissen anzugleichen. Nur so kann Einwanderung gelingen.

 

Björn Höcke, ist Fraktionschef und – gemeinsam mit dem Juristen Stefan Möller – Landesvorsitzender der Alternative für Deutschland in Thüringen. Höcke, geboren 1972 in Lünen/Westfalen, wohnt heute im Eichsfeld. Der Oberstudienrat studierte Sport und Geschichte für das Lehramt an Gymnasien und absolvierte ein Masterstudium im Bereich Schulmanagement. Im April 2013 gründete er mit anderen die thüringische AfD. Bundesweit bekannt wurde er mit dem AfD-Einzug am 14. September in den Erfurter Landtag mit 10,6 Prozent und mit seinem Auftritt in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ wenige Tage später.

Foto: AfD-Nachwuchspolitiker Björn Höcke: „Durch die drei neuen Landtagsfraktionen hat das Konservative in der Partei an Gewicht gewonnen (...) aber klar ist, daß das Liberale dazugehört“

 

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