© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/14 / 17. Oktober 2014

„Wir sind nicht zum Spaß hier“
Impressionen von der Frankfurter Buchmesse
Christian Dorn

Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an, mit 66 Jahren, da hat man Spaß daran.“ So hätte das Motto der 66. Frankfurter Buchmesse lauten können, zumal hier am 1. November in der Festhalle das Konzert von Udo Jürgens folgt. Die Tournee des heute 80jährigen steht unter dem Motto „Mitten im Leben“. In diesem, wie wir seit Luther wissen, „sind wir vom Tod umfangen“. Das paßte auf den Zustand der Messe, deren Aussteller- und Fachbesucherzahl erneut – diesmal um drei beziehungsweise zwei Prozent – zurückging. Diese Ernüchterung zeigte auch eine Familie am für alle Besucher offenen Wochenende am Stand einer großen deutschen Verlagsgruppe: „Wir sind nicht zum Spaß hier, wir müssen kaufen.“

Friedenspreis für Internetpionier Lanier

Bedrohter denn je sind das Buch und sein Schöpfer durch die Folgen der globalen Digitalisierung. Jaron Lanier, Pionier des Internets, von dem auch der Begriff der „virtuellen Realität“ stammt, erhielt deshalb für seine kritische Bilanzierung dieser Entwicklung den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels – und sorgte dafür, daß die barbarische Form des IS-Terrors auch hier präsent blieb, als er in der Dankesrede dekretierte: „Hegel wurde enthauptet.“

Die Synthese sollte sich auf der Messe folglich nur mehr im tödlichen Endspiel zeigen. Laniers aktueller Titel „Wem gehört die Zukunft?“ (Hoffmann & Campe) konnte derweil vom unwissenden Besucher ebenso auf die jährlich zunehmende Schar verkleideter Halberwachsener bezogen werden, die die Messegänge verstopften. Schließlich wurde hier parallel die deutsche Vorausscheidung der Cosplay-Meisterschaft in der Paar-Disziplin ausgetragen. Die Infantilisierung der Gesellschaft, die sich an dieser Stelle offenbarte, wurde aber aufgefangen durch den auf der Messe erfolgten weltweiten Start des crossmedialen „Endgame“ von James Frey (Oetinger Verlag), dessen interaktive Leser einem „Spiel auf Leben und Tod“ beitreten (www.endgame.de).

Bleibt die Erkenntnis, daß das Leben wohl doch erst mit 66 anfängt. Bester Beweis dafür ist die Legende Peter Berling, der seinen Esoterik-Roman über das Dritte Reich, „Der Chauffeur“ (Europa- Verlag Berlin), vorstellte. Möglich war dies nur auf der „Open Stage“-Bühne, da Berling dort seine Zigarillos rauchen konnte, die ihn – zwanzig Stück am Tag – am Leben erhalten. Mit seinen achtzig Jahren, ebenso alt wie Udo Jürgens, war er der älteste Autor auf der Buchmesse. Hier schloß sich der wahre, echte und analoge „Circle“ der Messe.

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