© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/14 / 17. Oktober 2014

Im Stahlgewitter
Bilder aus dem Krieg: Die Ausstellung „Atelier Schützengraben“ in Leipzig zeigt, wie drei Künstler die Schlacht in Flandern 1915 erlebten
Sebastian Hennig

An den mythischen Begriffen vom Weltenbrand und der Urkatastrophe bricht sich jede weitere Äußerung wie ein Holzschiff am Felsenriff. Damit sich um dem einzelnen Soldaten die Vorhänge des Welttheaters für immer schließen, bedurfte es keiner weiten Zusammenhänge. Entscheidend war das kleine Fleckchen Erde, worauf das Schicksal ihn in diesem Augenblick gestellt hatte. Der Gefallene deckte es mit seinem Leib. So blieb das weltumfassende Ereignis im Einzelfall immer eine eng beschränkte Angelegenheit.

Auf dem Plakat zur Leipziger Ausstellung „Atelier Schützengraben“ drängen sich acht groteske Gestalten im Graben. Karabiner mit Seitengewehr und Granaten halten sie in den Händen. Ihre Gesichter unter den Schirmmützen sind hinter den aufgezogenen Gasmasken entstellt. Die Ausstellung hat sich für den individuell beschränkten Blick auf die Ereignisse entschieden. Wie drei bildende Künstler die zweite Flandernschlacht im Sommer 1915 erlebten, zeigen ihre Zeichnungen, Aquarelle und Grafiken aus dem Bestand des Museums der bildenden Künste.

Es sind nur drei Räume mit wenigen wirklich authentischen Blättern. Am Eingang liegt in der Vitrine eine Pickelhaube mit sächsischem Wappen, am Ausgang ein Stahlhelm mit wuchtigem Nackenschutz. Im Unterschied zwischen dem leichten Kampfhut, der die Säbelklinge abwehren soll, zur wuchtigen Stahlschale gegen den Eisenregen der Granaten, wird die Wandlung deutlich, die dieser Krieg brachte. Der gebürtige Leipziger Max Beckmann und der Absolvent der dortigen Kunstakademie Hans Alexander Müller haben sich freiwillig gemeldet. Alfred Frank kam noch aus dem Studium heraus zum Wehrdienst. Ob auch er freiwillig ging, ist nicht überliefert. Zur Ergänzung sind Feldpostkarten, Luftbilder und wenige Beispiele offizieller Kriegskunst zu sehen.

Das Erleben bewirkte eine Erschütterung

In Berlin schieben sich 1915 noch wohlbehäbige Stadtspaziergänger durch die Schauschützengräben einer Stadtparkwiese. Die wirklichen Grabenanlagen durchziehen im Zickzack und mäandrierend ein vom Stahlgewitter ausgefegtes Land. Die Feldpostkarte „Straßenkreuzung bei Broodseinde“ zeigt nur ein zerwühltes Nichts. Max Klinger läßt auf seinem Studienblatt von 1914 den angreifenden Soldaten übungsmäßig einwandfrei stürmen.

Auf den Bleistiftzeichnungen von Hans Alexander Müller sieht es dann schon ganz anders aus. Der grobe weiche Bleistift läßt die Szenerie zerfließen zu einer Einheit. Soldat und Erdreich sind nicht mehr genau zu scheiden. Seine Zeichnungen entsprechen graphisch am meisten der Morbidität des Ereignisses.

Beckmann diente als Krankenpfleger. Großspurig schrieb er der Gattin: „Meine Kunst kriegt hier zu fressen.“ Doch vier Monate später schon wird er nach einem Nervenzusammenbruch an das Hygiene-Institut nach Straßburg versetzt. Er war nicht dem Gefecht ausgesetzt, dafür aber dauernd dem Anblick der Auswirkungen. Die ständige Veranschaulichung der Gefahr an den Verwundeten hat ihn womöglich seelisch schwerer belastet als Müller und Frank, die mit dieser Gefahr unmittelbar umgehen mußten.

Tatsächlich hat das Erleben bei Beckmann eine Erschütterung bewirkt, die sein nachfolgendes Werk beeinflussen sollte. Den wenigen Federstrichen des „Blick auf Ypern“ sind Anspannung und Eile anzumerken. Die Blätter mit den Figuren sind ebenfalls sehr reduziert. Aber sie beschreiben aufmerksamer. Auf dem Blatt „Kopf eines Soldaten“ ragt ein ausgemergeltes Haupt aus einer Öffnung im Boden hervor. Das ist ein Anblick wie aus Dantes Inferno. Ein anderer Soldat, ebenfalls hager mit Schnauzbart und tiefen Augenhöhlen, löffelt gierig seine Suppe. Es sind Skizzenblätter, die ohne Zuspitzung und Deutung einfach aufnehmen, was zu sehen ist. In kluger Ökonomie wird mit wenigen Strichen die Essenz der Situation dargestellt. Mit dem zeitgleichen Kriegseinsatz sind die Überschneidungen der Biographien der Künstler noch nicht erschöpft.

Hans Alexander Müller starb wie Beckmann in den USA. Dorthin emigrierte der Professor der Leipziger Kunstakademie 1937 seiner jüdischen Ehefrau wegen. Im gleichen Jahr ging Beckmann nach Amsterdam. Alfred Franks Kunst zeigte sich am wenigsten vom Krieg erschüttert. Sehr wohl dagegen sein Lebensweg: 1919 tritt er der KPD bei,1945 wird er in Dresden wegen Wehrkraftzersetzung hingerichtet.

Mit den Augen Caspar David Friedrichs

Eines der heitersten Blätter dieser Ausstellung ist seine friedvolle Frühlingslandschaft „Mühle in Flandern“. Damals versuchte er wohl das Unabwendbare mit dem Angenehmen zu verbinden. Auch die Zerstörung wirkt auf seinen Radierungen und Aquarellen immer pittoresk und niemals formlos. Der Schuppen im Vordergrund der steppenartigen Landschaft „Vor Armentières“ könnte ebensogut aus Altersschwäche zerfallen sein. Seine Radierung „Comines unter Trommelfeuer“ wirkt wie die Vedute eines Stadtbrands von Matthäus Merian. Über den horizontal gereihten Türmen schlagen schräge Rauchsäulen empor. Das Aquarell „Zerstörte Kirche in Flandern“ schaut mit den Augen Caspar David Friedrichs durch die Ruine auf den wolkigen Himmel.

Es sind eben nicht Bilder über den Krieg, sondern Bilder aus dem Krieg.

Die Ausstellung „Atelier Schützengraben. Max Beckmann, Hans Alexander Müller und Alfred Frank zeichnen den I. Weltkrieg“ ist bis zum 9. November im Museum der bildenden Künste Leipzig, Katharinenstraße 10, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs von 12 bis 20 Uhr, zu sehen. Telefon: 0341 / 2 16 99-0

Der Katalog mit 72 Seiten und etwa 40 Abbildungen kostet 9,90 Euro.

www.mdbk.de

Fotos: Hans Alexander Müller, Schützengraben mit Blick auf Ypern, 1915: Die Szenerie zerfließt zu einer Einheit; Alfred Frank, Zerstörte Kirche in Flandern, 1917; Max Beckmann, Soldat mit Kopfverband, 1915: Ohne Zuspitzung und Deutung

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