© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/14 / 17. Oktober 2014

Der Duce und seine Massen
Der Franzose Philippe Foro hat eine bemerkenswerte Enzyklopädie über den italienischen Faschismus vorgelegt
Karlheinz Weissmann

Frankreich ist das Land der Enzyklopädie, und es verwundert insofern nicht, daß Jahr für Jahr neue Lexika erscheinen, obwohl die großen Nachschlagewerke in Druckversion hier derselben Krise ausgesetzt sind, die sogar die Encyclopedia Britannica und den Brockhaus erledigt hat. Es bleiben offenbar noch genügend Nischen und genügend Interessenten, die entsprechende Publikationen abnehmen, wenn sie auf speziellere Themenfelder bezogen sind.

So muß man sich offenbar auch das Erscheinen von Philippe Foros „Dictionnaire de L’Italie fasciste“ erklären. Foros Arbeitsschwerpunkt als Professor an der Universität Toulouse ist die Zeitgeschichte Italiens, er hat aber vor allem zur Ära des Faschismus veröffentlicht. Die gründliche Kenntnis der Thematik merkt man seinem Buch an. Denn es beschränkt sich nicht auf Personen, Institutionen und Ereignisse, obwohl die selbstverständlich vorkommen und ihre Erläuterung einen erheblichen Teil des Textes ausmacht, sondern bezieht sich darüber hinaus auf Schlüsselbegriffe, die man in diesem Zusammenhang eigentlich nicht erwarten würde.

Die Faschisten nahmen die alten Eliten für sich ein

Als Beispiel sei der Artikel zum Thema „Konsens“ erwähnt, an dem die Arbeitsweise Foros gut zu illustrieren ist: Einleitend erwähnt er, daß in der Forschung ursprünglich entweder der Zwangscharakter des faschistischen Systems betont wurde oder die Behauptung im Vordergrund stand, es habe sich um eine Klassenherrschaft gehandelt. Jedenfalls sei das Volk nur passiv geblieben, die Zustimmung sei fingiert gewesen. Das Ergebnis von Propaganda und Terror; diese These sei zuerst in den 1970er Jahren und am radikalsten durch den „Revisionisten“ der Geschichte des Faschismus, Renzo de Felice, in Frage gestellt worden, der die Popularität des Systems betonte und dessen Verankerung in der Zustimmung der Massen.

Foro führt dann aus, zu welchen Ergebnissen die neuere Forschung in bezug auf die Art und Weise gekommen ist, in der das Regime die einzelnen Schichten für sich einnahm, angefangen bei Adel und alten Eliten (die den historischen Kompromiß mit Monarchie und Kirche begrüßten) über das Bürgertum (dem man starken Staat und Schutz vor der Linken versprach) bis hin zu den Bauern (die Anteil an der Modernisierung gewinnen sollten) und den Arbeitern (die sich als maßgebliche Gruppe der Produktiven ausgesprochen hofiert sahen); als eine Art ideologischer Überbau dienten der Nationalismus und das persönliche Charisma Mussolinis, Faktoren, die allerdings schon Ende der dreißiger Jahre an Bedeutung verloren, weil Mussolini offenbar das Gespür für die Stimmung des Volkes abhanden kam und die sich häufenden militärischen Niederlagen den Konsens schwächten.

Insgesamt gesehen kann man Foros Lexikon des italienischen Faschismus als ausgesprochen nützliches Hilfs- und Arbeitsmittel bezeichnen, nicht nur für den Historiker, sondern auch für jeden geschichtlich interessierten Laien. Denn obwohl mit dem Begriff „Faschismus“ nicht nur hierzulande sehr großzügig umgegangen wird, fehlen im allgemeinen doch präzise Kenntnisse seines Wesens, auch und gerade was die italienische „Urform“ anbetrifft.

Daß die in einem Tafelteil zusammengefaßten Abbildungen des Buches lustlos wirken, mag man als Schönheitsfehler betrachten, etwas schwerer wiegt schon das Fehlen eines Inhaltsverzeichnisses und eines Registers. Das sind selbstverständlich keine prinzipiellen Einwände, aber das Vorhandensein würde die Brauchbarkeit noch einmal deutlich erhöhen.

Philippe Foro: Dictionnaire de L`Italie fasciste. Venémiaire Editions, Paris 2014, broschiert, 381 Seiten, Abbildungen, 28 Euro

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