© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/14 / 24. Oktober 2014

„Es droht ein endloser Krieg aller gegen alle“
Die USA wollen den Islamischen Staat aus der Luft bekämpfen. Kann das gelingen? Luftkriegsanalytiker Martin van Creveld ist skeptisch
Moritz Schwarz

Herr Professor van Creveld, hätten die alliierten Luftangriffe den Vormarsch des IS auf Kobane stoppen können, wenn sie massiver durchgeführt worden wären?

Creveld: Eines haben alle Aufstände nach 1945 gemeinsam, sie sahen sich einer absoluten – oder fast absoluten – Luftüberlegenheit gegenüber. Zum Beispiel fielen etwa auf Vietnam dreimal so viele Bomben wie während des Zweiten Weltkrieges auf Deutschland und Japan zusammen. Massivere Schläge im Kampf um Kobane hätten wohl mehr bewirken können, so wie 1968 während der nordvietnamesischen Belagerung der US-Basis von Khe Sanh. Aber auch sie würden die Natur dieses Krieges nicht ändern.

Im Fall Khe Sanh konnte massives Bombardement die Eroberung abwenden. Warum haben die USA so nicht auch das Eindringen des IS in Kobane verhindert?

Creveld: Weil die eingesetzten US-Kräfte in diesem Fall viel, viel geringer sind als damals in Vietnam.

Wäre es angesichts des offenen Geländes im Irak nicht möglich, sämtliches schwere Gerät der Islamisten aus der Luft zu zerstören und den IS so entscheidend zu schwächen?

Creveld: Das Problem ist, daß der IS gar nicht so viel schweres Gerät hat.

Aber es heißt, der IS sei den Kurden überlegen, weil er über schwere Waffen verfüge.

Creveld: Ich sprach vor einigen Wochen mit dem Chef eines westlichen Geheimdienstes. Nach dessen Ansicht sind die CIA-Schätzungen diesbezüglich zu hoch. Zudem, die schweren Einheiten des IS, von denen wir wissen, sind fast gänzlich dritte Wahl. Sie stammen aus Beständen der Zeit Saddam Husseins oder der US-Armee, nach deren Abzug aus dem Irak. Nein, die meisten der IS-Kräfte sind leicht bewaffnet, bewegen sich schnell und verteilen sich gut im Gelände.

Warum sind sie dann den ebenfalls leicht bewaffneten Kurden überlegen?

Creveld: Offenbar, weil sie fanatische Kämpfer sind.

Inzwischen sind die IS-Kämpfer in Kobane eingedrungen, wo sie eigentlich besser geschützt sind. Aber ausgerechnet jetzt zeigen die Luftschläge Wirkung. Wieso das?

Creveld: Weil, wie die jüngsten Berichte sagen, die Kurden inzwischen gelernt haben, mit den alliierten Luftstreitkräften zusammenzuarbeiten.

2001 gelang es in Afghanistan binnen weniger Wochen, mittels massiver Luftschläge – und mit Hilfe der einheimischen „Nordallianz“ – die Taliban zu vertreiben. Warum gelingt das im Irak nicht?

Creveld: Wie Sie sagen: Welchen Erfolg die Amerikaner in Afghanistan auch immer errungen haben, sie verdanken ihn vor allem der Kombination von Luft- und Landstreitkräften. Die Situation im Irak und Syrien ist aber eine andere.

Inwiefern? Kurden-Milizen und irakische Armee ersetzen hier die Nordallianz?

Creveld: Ja, aber sind Sie so sicher, daß der Krieg in Afghanistan erfolgreich war? Nach meiner Ansicht konnte man die Taliban lediglich zwingen auszuweichen. Nach dem ersten Schock aber haben die sich reorganisiert. Den Rest der Geschichte kennen Sie.

Warum setzen die USA gegen den IS zum Beispiel keine Bombenteppiche ihrer strategischen Bomber ein, wie in Afghanistan?

Creveld: Weil es dafür nicht genug geeignete Ziele gibt. Beachten Sie, daß in Afghanistan die strategischen Bomber nur zu Beginn zum Zug kamen. Dann wechselten die USA zu kleineren Jagdbombern, schließlich zu Drohnen.

Obwohl Obama die Bekämpfung des IS zum vorrangigen Ziel erklärt hat, setzen die USA keineswegs das ganze Potential ihrer Luftstreitmacht ein. Ein Widerspruch?

Creveld: Keineswegs! Wie viele andere Amerikaner findet auch Obama nicht wirklich zu einem klaren Standpunkt, ob der IS eine echte Gefahr für die USA ist oder nicht. Und so sind seine Maßnahmen auch nicht sehr entschlossen.

In Ihrem Buch „Age of Airpower“ erklären Sie, warum Kriege nicht aus der Luft gewonnen werden können. Warum nicht?

Creveld: Falsch! Mein Argument ist, daß Luftstreitkräfte in irregulären Kriegen lediglich weit weniger entscheidend sind als in regulären. Zwei Gründe: Erstens finden irreguläre Streitkräfte leichter vor ihnen Schutz, wenn nicht im Gelände, dann in der Bevölkerung. Zweitens, die kleinen Einheiten des irregulären Krieges operieren schneller und flexibler als reguläre. Wie Mücken, die ein Pferd stechen.

Wenn der IS aus der Luft nicht zu besiegen ist und Obama beteuert, auf keinen Fall das Heer einzusetzen, wird der Konflikt dann „einfrieren“ oder es dem IS gelingen, irgendwann den ganzen Irak zu besetzen?

Creveld: Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Statt einzufrieren, könnte er auch in einen endlosen Krieg aller gegen alle münden. Es scheint, daß das wohl im Irak passieren wird, wo der sunnitische IS und diverse schiitische Milizen sich gegenseitig in Stücke bombardieren und das Ganze überdies auf andere Staaten der Region übergreifen könnte.

Dann wäre auch Israel bedroht. Jerusalem hat stets auf den Sturz Husseins und Assads gesetzt. Das Resultat ist der IS. Warum haben die Israeli, die sich in der Region doch auskennen, das nicht vorhergesehen?

Creveld: Als der syrische Bürgerkrieg ausbrach, gingen unsere Geheimdienstler tatsächlich schadenfroh davon aus, Assads Ende wäre nahe. In der Tat eine erstaunlich naive Sicht der Dinge. Ich hoffe, sie haben inzwischen dazugelernt.

 

Prof. Dr. Martin van Creveld, ist Autor der Studie „The Age of Airpower“ (2011), über die die New York Times schreibt: „Originell und maßgeblich veranschaulicht sie die Schwierigkeit, einen modernen Krieg aus der Luft zu gewinnen.“ Creveld, Jahrgang 1946, gilt als „einer der renommiertesten Militärhistoriker der Gegenwart“ (Welt), er lehrte an der Hebräischen Universität von Jerusalem und beriet die Streitkräfte verschiedener Nationen, darunter auch das US-Verteidigungsministerium.

www.martinvancreveld.com

 

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