© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/14 / 24. Oktober 2014

Die SPD läßt sich linken
Thüringen: Mit aller Macht arbeitet die Linkspartei an der ersten rot-rot-grünen Landesregierung unter ihrer Führung
Paul Leonhard

Ein Vierteljahrhundert nach der friedlichen Revolution in der DDR hat es die Linkspartei so gut wie geschafft: Sie wird mit Bodo Ramelow wohl erstmals einen Ministerpräsidenten stellen. Den Weg ebnen ausgerechnet die Bündnisgrünen und eine Sozialdemokratie, die vergessen hat, daß sie sich erst im Herbst 1989 aus der schmerzhaften Umklammerung durch die Kommunisten lösen konnte. Viele SED-Opfer schauen mit Entsetzen auf die Entwicklungen.

Vorausgegangen waren wochenlange Sondierungsgespräche sowohl mit den Linken als auch mit einer durchaus kompromißbereiten CDU, mit der die Sozialdemokraten bisher als Juniorpartner regiert hat. Allerdings war die Linkspartei um Ramelow bereit, Kreide zu fressen, um ans Ziel zu kommen. Sie unterzeichnete sogar ein Papier, nach dem die DDR „eine Diktatur, kein Rechtsstaat“ war. Linke, SPD und Bündnisgrüne versicherten sich darin gegenseitig, „nicht mit Organisationen, die das DDR Unrecht reaktivieren, zusammenzuarbeiten“. Die drei Parteien würden auch „keine Personen, die direkt oder indirekt mit dem Sicherheitssystem der DDR zusammengearbeitet haben, in Positionen dieser Regierung entsenden, ebenso sollen Menschen, die leugnen, daß die DDR kein Rechtsstaat war, keine Verantwortung in der gemeinsamen politischen Arbeit für Thüringen wahrnehmen“.

Vergessen ist, daß der aus Nieder-sachsen stammende linke Ministerpräsidentenkandidat Ramelow in seinem Berliner Bundestagsbüro noch 2009 eine frühere hauptamtliche Mitarbeiterin der DDR-Staatssicherheit beschäftigte. Der 58 Jahre alte ehemalige Gewerkschaftsfunktionär, der lange vom Verfassungsschutz überwacht wurde, hat sich Schritt für Schritt an die Macht herangearbeitet. Im Januar 1997 gehörte er zu den Initiatoren der Erfurter Erklärung, die einen Politikwechsel durch eine engere Zusammenarbeit von Bündnisgrünen, SPD und Linkssozialisten zum Ziel hatte. Zwölf Jahre später, als schon einmal rechnerisch eine rot-rote Koalition möglich gewesen wäre, versagte ihm die SPD-Basis noch die Gefolgschaft und entschied sich für eine Regierungsbildung mit der CDU.

Diesmal schaffte es Ramelow bei den Landtagswahlen zwar persönlich nicht, die Wähler mit sozialistischen Versprechen zu überzeugen, er verlor sein Direktmandat im Wahlkreis Erfurt III, aber Bündnisgrünen und SPD-Genossen versprach er alles, was diese sich nur wünschten: Letztere sollen, obwohl sie lediglich 12,4 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen konnten, mindestens vier Ministerien erhalten, erstere zwar nur eines, aber dafür ein „Superministerium“. Beide Parteien sollen einen „Ressortzuschnitt“ erhalten, „mit dem sie sich in den nächsten fünf Jahren profilieren können“.

Von einem „Wünsch-dir-was-Paket“, das nicht finanzierbar sei, spricht CDU-Fraktionschef Mike Mohring. Aber es geht den Umworbenen nicht um die Zukunft Thüringens, sondern allein um die Macht. Diese beruht auf einer Mehrheit von einem Sitz. Bis zum 3. November können die rund 4.300 Thüringer Sozialdemokraten ihr Votum abgeben, ob sie der Empfehlung ihres Vorstandes für rot-rot-grüne Koalitionsverhandlungen folgen. Künstler, Wissenschaftler und Politiker, unter ihnen der Schriftsteller Reiner Kunze, appellierten mittlerweile mit einem „Gewissensappell“ an die Sozialdemokraten, die „Befreiung durch die Revolution von 1989 in Thüringen“ nicht zu revidieren.

Unterdessen hat die AfD die CDU aufgefordert, einen geeigneten Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt vorzuschlagen. „Wenn ein Kandidat oder eine Kandidatin die CDU-Fraktion geschlossen hinter sich hat, dann ist die AfD-Fraktion bereit, ihn oder sie, falls unsere Kernpunkte im Regierungsprogramm berücksichtigt werden, zu unterstützen“, sagte AfD-Fraktionschef Björn Höcke.

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