© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/14 / 24. Oktober 2014

Ohne Karte und Kompaß
Filmtip: Eine Dokumentation zeigt, wie paranoid die DDR auf kleinste Verletzungen ihres Luftraums reagierte
Lion Edler

Bis 1989 geschah es etwa 400mal, daß westdeutsche Kleinflugzeuge versehentlich die Grenze zur DDR überflogen – meist ausgelöst durch schlechte Sichtverhältnisse oder Wetterturbulenzen. Ein gefährlicher Fauxpas, der dramatische Folgen haben konnte.

Denn die DDR-Oberen wähnten hinter solchen Vorfällen westliche Spionage. Mit einer Dokumentation („Grenzflieger. Als der Himmel noch geteilt war“) nimmt sich der NDR nun dieses kuriosen DDR-Kapitels an.

In die Bredouille geriet etwa die Lüneburger Familie Raasch. Als ein Kleinflugzeug mit fünf Kindern der Familie über die deutsch-deutsche Grenze fliegt, erscheinen DDR-Militärflugzeuge, die den Flieger mit einem Signal zum Nachfolgen auffordern. Als der Pilot sich weigert, folgen Leuchtraketen und schließlich Beschuß, der das Flugzeug zur Notlandung auf DDR-Staatsgebiet zwingt. Die Kinder werden nach dramatischen Verhandlungen freigegeben, der Pilot und der Vater der Kinder werden nach unangenehmen Stasi-Verhören freigelassen.

Übel erging es auch dem Bad Schwartauer Segelflieger Gerhard Littmann, der ohne Karte und Kompaß auf das sozialistische Staatsgebiet geriet. Nach einem Beschluß des DDR-Ministerrats von 1965 war jeder sogenannte „Luftraumverletzer“ sofort in Untersuchungshaft zu nehmen. So geschah es denn auch Littmann, der im Stasi-Gefängnis verhört und zu 20 Monaten Haft verurteilt wurde. Auch seine Familie in Westdeutschland wurde bis ins Detail ausspioniert, um ein „Persönlichkeitsbild des Beschuldigten“ zu erstellen, wie es im Stasi-Jargon hieß. Die Schlapphüte interessierten sich gar für die Rolle von Littmanns Familie „in der Zeit des Faschismus“. Littmann mußte sieben Monate seiner Haft absitzen, bevor er im Februar 1971 für 60.000 D-Mark von der Bundesrepublik freigekauft wurde.

Bas Fliegen hat Littmann sich dennoch bis heute nicht abgewöhnt. Jetzt kann er schließlich auch unbeschwert von Deutschland nach Deutschland fliegen, und auch noch weiter. „Das ist schon ein Gewinn erster Klasse“, sagt Littmann.

Fazit: Spannende Dokumentation über ein interessantes Kapitel der DDR-Geschichte. Das häufige Wechseln zwischen den Familienschicksalen ist allerdings mitunter etwas verwirrend.

Grenzflieger. Als der Himmel noch geteilt war, NDR, 29. Oktober 2014, 21 Uhr www.ndr.de

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