© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/14 / 24. Oktober 2014

Der Flaneur
Die fürstliche Försterin
Sebastian Hennig

Wenn man in Sachsen geboren ist, dann sind die wirklichen Berge nicht nur hoch, sondern auch sehr weit entfernt. Warum sich in Gipfeln versteigen, wenn Geheimnisse ganz nahe liegen? Zum Beispiel in Böhmen, dessen bergiges Grenzland vor nicht langem von Deutschen besiedelt war. Von Tachau nach Taus streife ich zu Fuß durch den Böhmerwald. Das Gepäck wiegt schwer. Die meisten Orte sind ausgelöscht worden, weder Wirtshäuser noch Läden zu erwarten. Darum sind keine Fußwanderer unterwegs, nur Radler und im Winter wohl Skiwanderer.

Ein schwerer Geländewagen dreht um, setzt mir auf dem schmalen Weg nach und überholt.

Seit Mittag schon geht es über den Asphalt durch reizlosen Wirtschaftswald. Dann glänzt ein Teich auf der Waldlichtung. Für ein Bad ist es erheblich zu kühl. Doch der Anblick erquickt immer noch. Wie ich in den Weg zum Wasser einbiege, dreht ein schwerer moderner Geländewagen um, setzt mir auf dem schmalen Dammweg nach und überholt. Aus dem Fenster sehe ich flüchtig eine helle Haarmähne sich zurückwenden nach mir. Ich blicke aufs Wasser und kehre zurück auf meine Richtung.

Der Wagen lenkt auch um und folgt mir. Das Fenster geht herunter, ein blonder Kopf erscheint. Die Anrede auf tschechisch ist an mich verschwendet. Wir einigen uns auf Deutsch zur Verständigung. Ob ich aufs Geratewohl unterwegs wäre, im Wald übernachten und so? Ja, mal sehen, erwidere ich vorsichtig.

Zwei blonde Kinder schauen vom Rücksitz zu. Als die Dame mit den schweren goldenen Ohrringen mir höflich empfiehlt, im nahe gelegenen bayerischen Grenz­ort ein Zimmer zu suchen, klingt das mehr besorgt als gebieterisch. In der anderen Richtung würde sich 20, 30 Kilometer nichts als Wald erstrecken.

Ich bleibe auf meinem Weg und finde zur Dämmerung mein Nachtlager in der Schutzhütte auf dem Rabenberg. Am nächsten Morgen erfahre ich von einer Erklärungstafel, daß die Wälder und Teiche wieder im Besitz der alten böhmischen Adelsfamilie sind. Die Gräfin hat ihren Sitz im nahe gelegenen Dianahof genommen. Aktäon zieht weiter.

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