© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/14 / 31. Oktober 2014

Die Union hat sich erledigt
Über Angela Merkels entkernte Christdemokraten und eine Fata Morgana namens Friedrich Merz
Paul Rosen

Das Entstehen der CDU (und der CSU in Bayern) in der vom Zweiten Weltkrieg hinterlassenen Trümmerlandschaft und in der damaligen geistigen Ödnis war ein Glücksfall für das darbende Deutschland. CDU-Politiker verstanden die christliche Botschaft als Auftrag für die Politik. Es vereinten sich zugleich evangelische und katholische Christen zur „Union“. Sie überwanden damit konfessionelle Gegensätze, unter denen Deutschland jahrhundertelang gelitten hatte – vom Dreißigjährigen Krieg bis zu Bismarcks Kulturkampf.

Die Union sammelte über Jahrzehnte mit einer erstaunlichen Bandbreite von Nationalkonservativen über Liberale bis zu Beinahe-Sozialdemokraten weite Teile der Wählerschaft ein. Das tut sie mit Ergebnissen um die 40 Prozent bis heute – aber ihre geistigen Fundamente sind weggebrochen. Die Merkel-CDU ist ein tönerner Riese; eine Erschütterung oder ein Sturm reichen, um das Gebilde auseinanderbrechen zu lassen.

Diese Einschätzung gründet sich gleich auf eine Reihe von Befunden: Die konfessionelle Spaltung in Deutschland ist überwunden. Das liegt nicht an der Ökumene, sondern am Verfall kirchlicher Bindungen und Strukturen. In einer atheistischer werdenden Gesellschaft hat eine christliche Partei ein Akzeptanzproblem. Damit hat sich auch der katholisch-evangelische Unionsgedanke erledigt. Zugleich ist zu erleben, wie die Parteiflügel absterben. Nationalkonservative gibt es nicht mehr, Konservative sind fast so selten wie zuletzt nur noch in Bayern anzutreffende Monarchisten. Der linke Flügel, einst verkörpert von Hans Katzer und Norbert Blüm, ist so gut wie tot. Die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) existiert nur noch auf dem Papier. Der Wirtschaftsflügel, repräsentiert durch Mittelstandsvereinigung und Wirtschaftsrat, stirbt gleich mit. Die meisten ihrer blassen Repräsentanten haben nicht einmal mehr ein Bundes- oder Landtagsmandat.

Was bleibt, ist eine amorphe Masse angeblich in der politischen Mitte stehender Politiker, die aber auch nicht dem klassischen Liberalismus zuzurechnen sind. Sonst würden sie sich strikt gegen die Entdemokratisierungstendenzen durch Währungsunion und EU-Räteherrschaft wenden.

Den Bürgern ist die Entwicklung nicht verborgen geblieben. Sie meiden CDU und CSU zunehmend. So hatte die CDU 2013 noch 467.076 Mitglieder, über 40 Prozent weniger als 1990 (789.609). In der CSU war der Sinkflug langsamer, aber er beschleunigt sich. Einziger Wachs-tumsträger in der CDU ist die Senioren-Union, der über die Hälfte der Mitglieder beitreten könnte. Jedes zweite CDU-Mitglied ist über 60 Jahre alt; 1991 war es erst jedes dritte. Die CDU ist bald rentenantragsberechtigt.

Dem Trend ins Abseits versucht der neue CDU-Generalsekretär Peter Tauber gegenzusteuern. Die CDU soll nach seinen Vorstellungen „jünger, weiblicher und bunter“ werden. Dazu luden CDU-Chefin Angela Merkel und Tauber 500 Mitglieder „mit Zuwanderungsgeschichte“ in die Berliner Parteizentrale ein. Auf der Veranstaltung mit dem Titel „Chancen der Vielfalt“ outete sich auch Merkel als Zuwanderin – aus dem Osten. „Merkel, die Migrantin“, spottete der Berliner Tagesspiegel.

Zuvor durften die Lesben und Schwulen in der Union (LSU) erstmals ihren Jahresempfang in der nach Konrad Adenauer benannten Parteizentrale abhalten. Die Bereitstellung von Räumen für diese mit 400 Mitgliedern als Splittergruppe anzusehende Vereinigung ist ein klares Signal, daß die CDU an den grundgesetzlichen Auftrag des Schutzes der Familie möglichst nicht mehr erinnert werden will.

Der die letzten Wertkonservativen sammelnde „Berliner Kreis“ und die mit 5.000 Mitgliedern viel größere Organisation „Christdemokraten für das Leben“ können weder im Adenauer-Haus Empfänge geben, noch sind sie in Kommissionen zur Partreireform offiziell vertreten. Die kleinen Beispiele zeigen die große Linie: Die CDU-Führung hat sich dem grün-gender-linken Zeitgeist hingegeben. Wer diesen heirate, werde schnell Witwer, hatte Franz Josef Strauß zeitlebens gewarnt.

Ein „tolles Integrationsland“ werde Deutschland sein, befand die CDU-Chefin, deren Partei noch vor einigen Jahren erklärte, Deutschland sei kein Einwanderungsland, und die massenhaft stattfindende Zuwanderung in die Sozialsysteme müsse begrenzt werden. Inzwischen übt sich die CDU wie der linke Teil des politischen Spektrums in „Willkommenskultur“. Genau das ist ihr Problem: Sie hat die Positionen von SPD und Grünen weitgehend übernommen und die eigenen ad acta gelegt. Das kostet Stimmen – die Flucht in die Stimmenthaltung hat längst stattgefunden. In ihren einstigen Hochburgen Sachsen und Thüringen hat gerade noch jeder fünfte Wahlberechtigte für die CDU votiert.

Wie aus einer anderen Welt wirkte die Nachricht, in der vielfältiger und bunter werdenden Partei werde der frühere und von Merkel abservierte Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz, ein Mann aus den Zeiten der bürgerlichen Freiheit und Sozialen Marktwirtschaft, in einer Kommission zur Parteireform mitwirken. Von der „Sehnsucht der Konservativen“ nach einem profilierten Kopf schrieb das Handelsblatt. Doch das Engagement beschränkte sich auf einen Vortrag – mehr war da nicht.

Dem konservativen Sauerländer Merz fehlt in der CDU, in der marktwirtschaftliche, freiheitliche und konservative Positionen verfaulen wie altes Holz, die Luft zum Atmen. Seine Stunde kann noch kommen – nach Merkels Abgang als Kanzlerin und nach einem Auseinanderbrechen der CDU in einer Parteienkonstellation, von der heute noch niemand weiß, wie sie aussehen wird.

Nur Taubers „moderne“ CDU wird nicht mehr dazugehören, sondern der FDP ins Haus der Geschichte folgen.

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