© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/14 / 31. Oktober 2014

Auch die Zivilgesellschaft kann nicht helfen
Lobbyismus: Auf der traditionellen Demokratie-Tagung in Speyer warnt der Journalist Thomas Leif eindringlich vor dem Treiben von Interessenvertretern
Taras Maygutiak

Das Fazit von SWR-Chefreporter Thomas Leif fällt deutlich aus: „Lobbyismus in der Realität – nicht im Lehrbuch der Lobbyisten – ist eine zunehmende Gefahr für die Demokratie, auch weil durch den zunehmenden Einfluß der Lobby der demokratische Prozeß untertunnelt wird.“ Leif war in der vergangenen Woche mit seinem Vortrag zum Lobbyismus einer der namhaften Referenten, die der Staatsrechtler und Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim zur 16. Demokratietagung an die Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften nach Speyer eingeladen hatte.

Im Fokus der diesjährigen Tagung: „Transparenz contra Geheimhaltung in Staat, Verwaltung und Wirtschaft“. Der Journalist, der mehrere Bücher zum Thema herausgegeben hat, nahm in seinen Ausführungen kein Blatt vor den Mund: Lobbyvertreter verstießen mit ihrer „klandestinen, abgeschotteten Politik und der Verhinderung von Öffentlichkeit gegen wesentliche Grundanforderungen des demokratischen Prozesses“. Lobbyisten gingen davon aus, daß das Öffentlichkeitsprinzip für sie nicht gelte, urteilte er. Ausnahme: die Teilnahme an den Anhörungen in den Parlamenten. „Diese haben jedoch nur eine Alibi-Funktion“, so Leif. Als identitätsstiftendes Merkmal des Lobbyismus bezeichnete er dessen fehlende Transparenz. Einerseits forderten Lobbyisten immer Mitsprache und Sonderregelungen, andererseits „schotten sie sich ab“. Die „offensiv reklamierten Beteiligungsrechte im Rahmen der pluralistischen Aushandlungsdemokratie“ führten sie damit selbst ad absurdum, stellte der Referent fest.

„Lobbyismus führt – auch aufgrund seiner anonymen, die Öffentlichkeit ausblendenden Praxis – zur Vertrauensvernichtung gegenüber den gewählten Akteuren und schadet somit dem Ansehen der repräsentativen Demokratie, die sich immer mehr in die Richtung einer Postdemokratie entwickelt.“ Der vehemente Widerstand gegen jede Form von Transparenz illustriere die faktische Bedeutung dieses demokratischen Leitwertes. Jüngstes Beispiel sei der Verzicht auf wirksame Karenzzeiten von Politikern, die in Spitzenfunktionen des Lobbyismus wechselten. „Der zähe Widerstand aus Politik, Verwaltung und weiteren Akteuren gegen den Ausbau der Informationsfreiheitsgesetze (IFG) unterlegt diesen Befund“, erklärte Leif. „Lobbyisten und Politiker sind de facto Komplizen. Zwar grenzen sich selbst Spitzenpolitiker scharf von der lobbyistischen Übermacht ab, in Wahrheit schauen sie aber zu Lobbyisten auf und leben in einer symbiotischen Beziehung“, diagnostizierte er. Die wechselseitige Instrumentalisierung von Politikern, Spitzenpolitikern und Interessenvertretern sei im parlamentarischen Alltag wesentlich intensiver, als öffentlich bekannt. Als beispielhaft nannte Leif ein Zitat des SPD-Ministers Peter Friedrich aus Baden-Württemberg: „Der Lobbyist wird zum scheinbaren Helfer des Abgeordneten oder Beamten, er unterstützt ihn mit Argumenten, Formulierungshilfen, Studien. Alles hilfreiche Dinge, um selbst im politischen Wettbewerb zu bestehen. Die eigenen Interessen und Ziele verschmelzen mit denen der Lobby.“

Cocktail aus Gewöhnung und Bequemlichkeit

Was der Minister offenherzig bekannte, paßt auch zu der Sichtweise, wie man laut Leif in der Politik insgesamt mit dem Thema umgeht: „Die Exekutive sieht Lobbyisten als Kooperationspartner, Dienstleister und Super-Experten. Parlamentarier werden in ihren Fraktionen aufgewertet, wenn sie gute Kontakte zu Lobbyisten pflegen. Die Lobby betreibt ein hoch effizientes, professionelles Schatten-Management für die Politik.“ Aus dieser gewachsenen Kooperationskultur entstehe eine Symbiose. Politiker gewährten ihren Partnern deshalb freiwillig Sonderrechte, führte Leif aus. Initiativen zur Begrenzung oder Einhegung des Lobbyismus seien bislang im Parlament torpediert worden. „Die Macht der Lobby ist für die meisten Medien ein Randthema. Der Cocktail aus Bequemlichkeit und Gewöhnung führt zu einem naiven Umgang mit dem Lobbyismus. Es gibt einen funktionierenden geschlossenen Informationskreislauf – eine Symbiose von politischer und medialer Klasse“, urteilte der SWR-Mann.

Lobbyismus in den Medien sei mittlerweile ebenfalls gang und gäbe. Und was gegen die Mißstände tun? Die „überschätzte Zivilgesellschaft“ beschäftige sich nur am Rande mit dem Problem. Kleine wohlmeinende Organisation seien gegenüber der Übermacht der Lobby überfordert, befand Leif. Wirksam wäre nur ein selbstkritischer Diskurs innerhalb der Lobby-Organisationen: „Sie müßten sich auf einen Kodex verpflichten, der Grenzen und Problemzonen aufzeigt.“ Und wie realistisch ist das? Leif hat da wenig Hoffnung: „Diese Handwerksordnung wird es nicht geben.“

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