© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/14 / 31. Oktober 2014

Ein Land hadert mit seiner Elite
Kongreßwahlen: Im Fall des prognostizierten Zuwachses der Republikaner droht den USA Stillstand
Elliot Neaman

Um Barack Obama und seine Demokraten steht es kurz vor den sogenannten „Midterm“-Kongreßwahlen nicht gut. Laut den jüngsten Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Gallup sind nur cirka zwölf Prozent der Bürger mit der Arbeit ihrer gewählten Vertreter im US-Kongreß zufrieden. Gleichzeitig verzeichnete die Unterstützung für den Kongreß seit 2010 zum zehnten Mal einen historischen Tiefpunkt. Selbst für eine Ära tiefer Unzufriedenheit und kulturellen Unbehagens sind das erstaunliche Daten.

Die Zwischenwahl 2014 steht im Zeichen einer verheerenden Frustration der US-Amerikaner mit ihrer politischen Führungsschicht. Die Spaltung zwischen der Masse der Bevölkerung und den Eliten war in den Vereinigten Staaten nie größer.

Amerikaner blicken erstmals pessimistisch in die Zukunft

Die alten Kategorien der „roten“ (republikanischen) und der „blauen“ (demokratischen) Staaten haben in der aktuellen Situation kaum Aussagekraft. Stattdessen sind sämtliche Staaten in Enklaven aufgesplittert. Mehr und mehr Amerikaner schotten sich in steigendem Maße bei Schulbesuch, Freundschaften, Heirat und Arbeit innerhalb ihrer jeweils eigenen Klasse voneinander ab.

Die Wählerschaft ist horizontal in Tausende von in sich homogenen Zellen aufgespalten, deren Angehörige von Gleichgesinnten umgeben sind und starkes Mißtrauen gegenüber Fremden hegen. Aber die Fragmentierung ist auch vertikal, da die Durchschnittsamerikaner ein tiefes Mißtrauen gegenüber den Eliten hegen, während es gleichzeitig den Eliten schwerfällt, eine Verbindung zu den Massen aufzubauen. Das Endergebnis sind Ärger und Bitterkeit, die sich in Form von Gleichgültigkeit und Polarisierung äußern.

Zur schlechten Stimmung in der Wählerschaft trugen aber auch andere Dinge bei. Obwohl sich die Lage der US-Wirtschaft seit 2008 verbesserte, sind die Löhne der Arbeitnehmer seit zwei Jahrzehnten nicht gestiegen. Doch die Durchschnittsbürger sind nicht nur über die Politiker erbost, sondern auch über die Bankmanager in der Wall Street, von denen nur eine Handvoll die Verantwortung für ihr pflichtvergessenes Handeln übernommen hat, das die Finanzkrise von 2008 auslöste, und von denen noch weniger für diese Handlungen zur Rechenschaft gezogen wurden.

Erstmals in ihrer Geschichte blicken die US-Amerikaner ausgesprochen pessimistisch in die Zukunft, sowohl für sich selbst als auch bezüglich der Aussichten für das gesamte Land im internationalen Vergleich. Eine aktuelle Meinungsumfrage machte deutlich, daß auch die Ebola-Epidemie, der Aufstieg des Islamischen Staates (IS) und die Angst vor dem Terrorismus eine Rolle spielen. Zwei Drittel der Befragten sind der Ansicht, das Land sei „außer Kontrolle“.

Die Haltung des Durchschnitts-amerikaners gegenüber der politischen Führung angesichts dieser Sorgen ist paradox. Einerseits zeigt sich unter den Wählern der klare Wunsch, daß der Kongreß aktiv werden und die Probleme lösen solle, andererseits besteht aber tiefe Skepsis hinsichtlich der gesamten politischen Führungsschicht.

Das Ergebnis dessen wird eine sehr niedrige Beteiligung an der Zwischenwahl sein. Die lag bei diesen Wahlen schon immer niedrig, oft bei nur 30 bis 40 Prozent, aber im allgemeinen stieg das Interesse stets, wenn der Wahltermin näherrückte. In den vergangenen Monaten ging dagegen das Wählerinteresse weiter zurück.

2012 wurden 90 Prozent der Kongreßabgeordneten wiedergewählt. Nun aber machen die Wähler in den Meinungsumfragen deutlich, daß sie kompromißbereiten Kandidaten den Vorzug gegenüber ideologisch standhaften geben würden.

Obama hält sich mit Vetopolitik über Wasser

Wenn sich diese Haltung in den Wahlergebnissen niederschlägt, könnte es 2014 eine Reihe echter politischer Überraschungen geben. Kansas könnte ein Vorreiter dieser Entwicklung sein. Bis vor einigen Monaten lag Senator Pat Roberts, ein Favorit der Tea Party und Amtsinhaber seit 1997, deutlich in Führung. Dann verließ der demokratische Herausforderer Chad Taylor das Rennen, um einem populären unabhängigen Kandidaten, Greg Orman, eine Chance zu geben. Die Wettbewerber liegen nun deutlich enger beieinander, und die Republikaner zeigten sich derart besorgt, daß sie umgehend mehrere Millionen Dollar in den Wahlkampf pumpten.

Trotz einiger möglicher Überraschungen ist das wahrscheinlichste Szenario, daß die Republikaner ihre Position im Unterhaus ausbauen. Um wieder die Mehrheit im Kongreß zu erhalten, müßten die Demokraten insgesamt 18 von 435 Sitzen dazugewinnen. Gegenwärtig haben die Republikaner 233 Sitze inne und die Demokraten 199, während drei Sitze vakant sind.

Bei Wahlen außerhalb des Jahres, in dem die Präsidentschaftswahl stattfindet, erleidet die Partei des amtierenden Präsidenten für gewöhnlich Verluste. Da die Zustimmung für Obama bei ungefähr 40 Prozent liegt, dürften die Republikaner knapp ein Dutzend Sitze hinzugewinnen. Im Senat, in dem nur ein Drittel der Sitze besetzt wird, könnte die Grand Old Party den jüngsten Meinungsumfragen zufolge sechs oder sieben Sitze dazugewinnen. Dies garantiert ihr auch im Oberhaus die Mehrheit.

Als Ergebnis winkt während der letzten zwei Jahre der Präsidentschaft Oba-mas eine verstärkte Polarisierung und Lähmung des Landes. Auf der einen Seite der republikanisch dominierte Kongreß, auf der anderen Seite ein Präsident, der über das Vetorecht verfügt und mit Präsidialverordnungen regieren kann.

Obama machte davon bereits oft Gebrauch – insbesonders bei Umweltthemen wie der sauberen Energiegewinnung, der Straffung der Vorschriften für CO2-Emissionen und der Nutzungsbindung bundeseigener Ländereien für die Einrichtung von Nationalparks.

Wenn die Republikaner jedoch im Kongreß und im Senat die Mehrheit erlangen, werden sie versuchen, einige der Vorschriften zur Regulierung der Finanzmärkte wieder abzuschaffen, die mit der monumentalen Dodd-Frank-Gesetzesreform eingeführt wurden. Sie werden sich außerdem bemühen, das Krankenversicherungsgesetz Obamacare auszuhöhlen, indem sie einige der Steuern abschaffen, die für die Finanzierung des Systems unerläßlich sind. Außerdem werden sie vermutlich weiterhin die Ernennung von Richtern und anderen hochrangigen Beamten blockieren, in der Hoffnung, bis 2016 erfolgreich auf Zeit spielen zu können und zu diesem Zeitpunkt alle drei Regierungsinstitutionen sicher in der Hand zu haben.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt europäische Geschichte an der University of San Francisco

Foto: Kräftemessen in Kansas: Der unabhängige Kandidat Greg Orman (l.) fordert den Tea-Party-Politiker und jetzigen Senator Pat Roberts heraus

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