© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/14 / 31. Oktober 2014

Zwischen zwei Stühlen
Rußland: Obwohl selbst bedroht, weigert sich Moskau, mit der Anti-IS-Allianz zu kooperieren
Thomas Fasbender

Abu Omar al-Shishani, übersetzt Omar der Tschetschene, verzichtet auf die obligatorische Strumpfmaske der Freischärler des Islamischen Staates (IS). Seine helle Hautfarbe und der rote, fein gekräuselte Bart stechen heraus unter den arabischen Kämpfern. Nicht ohne Grund: Der Mann ist georgischer Staatsbürger und heißt Tarkhan Batiraschwili.

2008 kämpfte der heute 28jährige in der georgischen Armee gegen die Russen. 2012 reiste er in die Türkei aus. Angeblich unterstehen seinem Befehl an die tausend Kämpfer sowie ein IS-Kerker mit ausländischen Geiseln. Als Mitglied des Schura-Rats gehört er zum innersten Kreis der Terrororganisation.

Zwei Videos des IS haben die Sensibilität der Russen für die islamische Bedrohung in den vergangenen Wochen geschärft: „Dies ist eine Botschaft für dich, Wladimir Putin. (…) Wir werden Tschetschenien befreien und den ganzen Kaukasus.“ Ganze Scharen von Kämpfern, so Batiraschwili, stünden bereit.

Als sein Name am 24. September an erster Stelle auf der US-Liste mit den gefährlichsten Terroristen stand, lobte der Georgier noch am selben Tag ein Kopfgeld von fünf Millionen US-Dollar für die Ermordung des tschetschenischen Präsidenten Ramsam Kadyrow aus.

Die Sorge vor einer neuen Welle islamistischer Gewalt im Nordkaukasus erscheint alles andere als unbegründet. Der Anschlag in Kanada spricht für sich. Hinzu kommt, daß die Terrorgruppe auch den syrischen Staatschef Baschar al-Assad massiv bedrängt, den Moskau seit Jahren unterstützt. Dennoch verweigert der Kreml sich der von Amerika geführten Anti-IS-Koalition und sitzt somit zwischen zwei Stühlen. Das Zögern hat mehrere Gründe. Zum einen ist ein Schulterschluß mit den USA in Rußland derzeit kaum vermittelbar. Auch der Blick Richtung Türkei erklärt einiges.

Anders als der Kreml sähe Präsident Recep T. Erdoğan zwar Assads Abgang lieber heute als morgen, doch stört ihn das Erstarken der Kurden in ihrer Rolle als westliche Favoriten in der Region. Rußland seinerseits interpretiert die Türkeipolitik der USA als Versuch, das Land wieder fester an den Westen zu binden. Dazu zählt die 2010 erfolgte Installation des Nato-Raketenschutzschilds in Ostanatolien. Vermeintlich dem Schutz vor iranischen Raketen dienend, sehen russische Militärs darin eine gegen ihr Land gerichtete Maßnahme.

Ungeachtet aller Rivalitäten kooperieren Moskau und Ankara, wenn es darum geht, politischem Druck aus Washington Paroli zu bieten. Dabei schält sich ein Muster heraus: Moskau läßt Ankara den Vortritt bei der Gestaltung des Mittleren Ostens, erwartet aber die gleiche Haltung in der Schwarzmeerregion.

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