© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/14 / 31. Oktober 2014

Pankraz,
Warhol und die Sixtinische Madonna

Es bleibt dabei: Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft wird die beiden Warhol-Bilder „Triple Elvis“ und „Four Marlons“, die sich im Besitz ihres Landes befinden und zur Zeit im Depot ruhen, zur Auktion nach New York schicken, um sie dort zu versteigern. Es wird ein satter Gewinn von hundert Millionen Euro erwartet, der dem Haushalt von NRW zugute kommen soll.

Das Riesengezeter aller möglichen Kunstfreunde gegen diesen „frivolen Ausverkauf von Kunst aus politischem Interesse“ (so 26 Museumsdirektoren in einem zornbebenden Brief an die Landesregierung) ist im Leeren verpufft. Das Geschäft wird stattfinden. Ein „Tabubruch“ habe stattgefunden, heißt es nun. Aber wieso, fragt Pankraz dagegen, ist der Handel staatlicher Stellen mit Kunst ein Tabubruch? Ist er nicht vielmehr ein Wiederanknüpfen an alte, gloriose Traditionen, wie sie einst von Rembrandt, Rubens und anderen während der Hochblüte der Bildenden Kunst in der frühen Neuzeit begründet wurden?

Künstler aus jener Zeit vom Schlage Rembrandts waren nicht nur Malgenies, sondern nicht weniger geniale Geschäftsleute, und die Kunden, mit denen sie zu tun hatten, waren nicht nur reiche holländische Tuchhändler, es waren vor allem kunstliebende Staatschefs in vielen europäischen Ländern, mit denen Rembrandt höchstpersönlich äußerst einträgliche Kaufverträge abschloß, nicht nur für seine eigenen Schöpfungen, auch für die, die „bloß“ aus seiner Werkstatt kamen (und oft seine Signatur trugen), Bilder etwa von Gerrit Dou, Arent de Gelder, Ferdinand Bol.

Berühmt geworden sind seine Geschäfte mit dem außerordentlichen italienischen Kunstagenten Antonio Ruffo, welcher die transalpinen Höfe belieferte. Ihm gab der Künstler ausdrücklich die Erlaubnis, mit seinen, Rembrandts, Bildern selbständig Handel zu treiben, sie ohne Rücksprache zu verkaufen, zurückzukaufen, sie wiederzuverkaufen, natürlich immer mit dem Hinweis, daß es sich um echte Produkte aus der Firma Rembrandt handele. Wichtig war ihm aber einzig die Gewinnmaximierung.

Heute gibt es in Deutschland nun freilich einen gesetzlich fixierten „Kulturgüterschutz“. Zumindest der Export „national wertvoller Kulturgüter“ ist hierzulande verboten. Die sächsische Landesregierung beispielsweise darf nicht Raffaels Sixtinische Madonna, Zentralgestirn der Dresdener Gemäldegalerie, zwecks Sanierung ihres Haushalts einfach ans Ausland verscherbeln, sowenig wie das Land Bayern Schloß Neuschwanstein je ausländischen Investoren überlassen darf. Sowohl Neuschwanstein wie die Sixtinische sind national wertvolle Kulturgüter.

Gilt das aber auch für die beiden Popgemälde „Elvis“ (Presley) und „Marlon“ (Brando) von Andy Warhol? Darf auch die der Staat, der sie momentan in seinem Besitz hat, nicht verkaufen, nicht einmal an deutsche Privatleute im Inland, wie die donnernden Proteste des Kulturrats oder der Museumsdirektoren nahelegen? Man darf daran zweifeln, selbst wenn man einräumt, daß die künstlerische Qualität der beiden Warhol-Werke beträchtlich ist, das in der Popkultur übliche Niveau weit übersteigt, und daß auch ihr kulturhistorischer Hintergrund durchaus erinnerungsträchtig sein mag.

Auf jeden Fall leuchtet er weit intensiver als die Geschichte der Sixtinischen Madonna. Diese wurde einst, 1512, von Papst Julius II. bei Raffael in Auftrag gegeben, um den Sieg der Vatikantruppen über die in Italien eingefallenen Franzosen nahe der Stadt Piacenza zu feiern. Das Gemälde hing dann über zweihundert Jahre lang in der Klosterkirche San Sisto in Piacenza, eine eher heimliche Attraktion für einige intime Kenner, und 1753 kaufte es der sächsische König August III., ein leidenschaftlicher Kunstsammler. Man wird zugeben: Eine recht bescheidene Legende für ein so spektakuläres Bild.

Dagegen die Legende von „Elvis“ und „Marlon“! Warhol schuf die Werke Mitte der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, als sich seine beiden Protagonisten auf der Höhe ihres gigantischen Ruhms befanden. Brando, weltbekannt durch Filme wie „Endstation Sehnsucht“ und „Die Faust im Nacken“, hatte gerade begonnen, sich als lautstarker Widerpart aller eingeschliffenen Verhältnisse und Verabredungen in Stellung zu bringen, Elvis war gerade zum „King“ gekrönt worden, zum Idol des endlich gefundenen „Rockabilly“, der Vereinigung von „weißer“ Country-Musik und „schwarzem“ Blues.

Und was Warhol selbst betrifft, so arbeitete er damals bereits nur noch in „Factorys“, irgendwelchen zauseligen Fabrikhallen New Yorks, die der pure Hohn auf ordentliche Künstler-Ateliers waren und wo ihn zahllose weitere Pop-Artisten beim kreativen Schaffen besuchten, von Bob Dylan bis Mick Jagger. Sämtliche Medien spielten begeistert mit. „Triple Elvis“ und „Four Marlons“ wurden gewissermaßen direkt unter den Augen der Welt erschaffen und lange herumgereicht, so daß man darüber staunen muß, daß es ausgerechnet dem Land NRW gelang, die Bilder eines Tages in seinen Besitz zu bringen.

Trotzdem ist Pankraz davon überzeugt: Jeder wirkliche Kunstfreund hat Verständnis dafür, daß Frau Kraft jetzt „Elvis“ und „Marlon“ wieder verkauft, während Herr Tillich in Dresden die Sixtinische Madonna nicht verkaufen darf (und auch nicht verkaufen will). Kunst ist letztlich wohl doch weit mehr als Medienlärm und Genuß des gelebten Augenblicks. Sie hat eine metaphysische Dimension, man will durch sie irgendwie „erlöst“ werden.

Im Jahre 1815 sah der große ungläubige Spötter Arthur Schopenhauer zum ersten Mal die Sixtinische, und er war davon so ergriffen, daß er ins Dichten geriet und folgende Zeilen eintrug: „Sie trägt zur Welt ihn, und er schaut entsetzt / In ihrer Greu’l chaotische Verwirrung, / In ihres Tobens wilde Raserei, / In ihres Treibens nie geheilte Torheit, / In ihrer Qualen nie gestillten Schmerz.– / Entsetzt: Doch strahlet Ruh’ und Zuversicht / Und Siegesglanz sein Aug’, verkündigend / Schon der Erlösung ewige Gewißheit“.

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