© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/14 / 31. Oktober 2014

In der stummen Verweigerung wächst die Freiheit
Repressionssystem: Konrad Fischers Roman „Das diktierte Leben des Herrn F.“ in elf Episoden über die Grenzen der Kontrolle
Sebastian Hennig

Unrechtssysteme werden nicht gerechter, wenn sie länger bestehen, aber sie erhalten eine Ordnung. Und unter ihren Bedingungen bekommen tüchtige junge Menschen eine erste Gelegenheit der Bewährung. Das geschieht nicht zwangsläufig und vor allem nicht bewußt auf Kosten der Opfer. Viele verleben ganz selbstverständlich unter den gegebenen Umständen die schönste Zeit ihrer persönlichen Biographie, ihre Kindheit und Jugend. Sie wird von ihnen darum nicht weniger verklärt, weil sie sozusagen im falschen Leben stattfand. Um zu einer gültigen Darstellung zu gelangen, bleibt zuletzt nur der Weg der künstlerischen Nacherfindung offen.

Zweieinhalb Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch des Stasi-Systems der DDR bleibt der kalte Leichnam des untergegangenen Unrechtsstaats ein heißes Eisen. Die Biographien der Widerständler sind bemerkenswert, aber sie betreffen nicht den durchschnittlichen Erfahrungshorizont des Zeitgenossen jener Jahre. Dessen ungestilltes Verlangen nach Selbsterfahrung im Vergangenen wird stattdessen in einer unwürdigen Nostalgiewelle ertränkt. Doch die Schrecknisse des banalen Alltags bleiben entweder überzeichnet oder unterbelichtet von der Sozialforschung.

In dem kurzen Roman „Das diktierte Leben des Herrn F.“ bringt Konrad Fischer nun das Absolute im Relativen zum Vorschein. Nicht frontaler Widerstand, sondern erst Höflichkeit, dann Abstand und schließlich Bestehen kennzeichnet die Lebenshaltung der Hauptperson. Damit gelangt eine allgemeine Erfahrung zur Darstellung, die über die DDR-Zeit hinaus bemerkenswert bleibt. Der Autor berichtet in seinem „Roman in 11 Episoden“ von einer gescheiterten Anpassung, die letztlich im Scheitern des Repressionssystems gipfelt. Nicht die gewollte Konfrontation führt zur Überwindung der Gängelung, sondern der Drang, sich selbst zu genügen. Pharisäerhaft ist das nachträgliche Erschrecken darüber, warum alle mitgemacht haben. Es machen nämlich immer alle mit. Was es war, wo sie mitmachten, erfahren sie erst im Rückblick. Nicht in der Konfrontation, sondern in der stummen Verweigerung wächst die Freiheit.

Die Willfährigkeit des Herrn F. jedenfalls findet dort ihre Grenze, wo ihn die Illumination an der Hausfassade beim Einschlafen stört und die Ansprüche der politischen Kundgebungen seine Waldspaziergänge, Kaffeestunden und Lektüreerlebnisse behindern. Zwischen radikaler Zivilcourage und der Feststellung, daß erst das Fressen und dann die Moral kommt, balanciert dieses Buch. Es ist ein Porträt der Eigenwilligkeit des deutschen Kleinbürgers, dem vielleicht mehr Widerstand und Unbeugsamkeit eignet, als ihm gewohnheitsmäßig zugestanden wird.

Eine sachte Komik dringt laufend durch einen sehr lapidaren Erzählfortgang und bewirkt eine eigentümliche schwebende Stimmung. Schon der Titel beruft sich auf das redensartlich gewordene Prager Urbild eines metaphysischen Bürokratie-Alptraums. Und doch bedient sich Fischer keiner Kafka vergleichbaren Bilder der Trostlosigkeit. Alles bleibt vielmehr komisch. (Aber auch Kafka soll ja beim Vortrag seiner Erzählungen gelacht haben.) Der glanzlose Held erinnert eher an die vorsichtigen und anpassungswilligen kleinen Beamten in Gogols Grotesken, an den braven Soldaten Schwejk oder den abenteuerlichen Simplizissimus. An zentraler Stelle ist eine Travestie des Brecht-Gedichts über die Teppichweber von Kujan-Bulak eingearbeitet. Die Verse entpuppen sich dabei als reiner Dadaismus einer ohnmächtigen Macht.

Zuletzt dämmert die Erkenntnis auf, daß uns keine äußere Macht bedrängt. „Sie existierte überhaupt nicht! Es gab sie nur in ihren Köpfen und wurde durch ihr eigenes Handeln gegenwärtig. Sie alle selbst bildeten diese Menschenmaschine!“

Im Nachwort findet Thomas Klemm kluge Worte über die Verantwortung dafür, jene Vielfalt und die Spannungen in der Darstellung lebendig zu erhalten, die den Alltag jener Jahre geprägt haben. Er sieht in der Gestaltung Fischers zugleich „ein unheimliches Bild über unsere Gegenwart“ hindurchschimmern.

Konrad Fischer: Das diktierte Leben des Herrn F., Birnbaum, Leipzig 2014, broschiert, 140 Seiten, 12 Euro

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