© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/14 / 31. Oktober 2014

Das nationale Feuer entfacht
Ende des Kirchenschismas und Ansätze der Reformation: Vor 600 Jahren begann das Konzil von Konstanz
Ralf Fritzsche

Es ist der 30. Juli 1419: Erboste Bürger Prags stürmen ihr Rathaus und werfen einige Ratsherren aus dem Fenster. Anders als beim berühmteren Zweiten Prager Fenstersturz 199 Jahre später sollen die Opfer diese Episode jedoch nicht überleben, denn eine aufgepeitschte Menschenmenge macht dem verletzten Bürgermeister und seinen Getreuen mit Äxten und Schwertern den Garaus. Im Dezember desselben Jahres kommt es in der Nähe von Pilsen zu einer Schlacht zwischen einer kaiserlich-katholischen Einheit und einem kleinen Kontingent tschechischer Häretiker, welche sich „Hussiten“ nannten. Letztere gingen aus dem Kampf siegreich hervor und sollten die nächsten Jahre den kaiserlichen Truppen weitere schwere Verluste zufügen.

Anlaß für diese Kriege war die Verbrennung des tschechischen Reformators Jan Hus (um 1369 bis 1415), welcher auf dem Konzil zu Konstanz den Märtyrertod erlitt. Dieses epochale Großereignis (JF 36/14) zog sich in der Stadt am Bodensee fast dreieinhalb Jahre bis 1418 hin und begann am 5. November 1414. Ein Grund für die Einberufung dieses Konzils war die Beendigung des großen abendländischen Schismas.

Seit 1378 herrschten sowohl in Rom als auch in Avignon Päpste, die beide die Führung der Christenheit für sich beanspruchten. Ein Konzil zu Pisa im Jahre 1409, das die Spaltung beheben sollte, brachte als Ergebnis nur einen dritten Papst hervor. Dessen Nachfolger, Papst Johann XXIII., berief das Konzil von Konstanz dann auch ein, nicht zuletzt auf Betreiben des deutschen Königs Sigismund, der durchaus auch machtpolitische Ambitionen mit dem Konzil verband.

Als König von Ungarn, das Sigismund ebenfalls regierte, hatte er die Großmacht der osmanischen Türken zu fürchten, welche seit der Mitte des 14. Jahrhunderts große Teile des Balkans erobert hatten. Um dem entgegenzutreten, suchte er gewissermaßen eine große Koalition europäischer Mächte, was wiederum seiner Ansicht nach nur möglich war durch das Wiederherstellen der kirchlichen Einheit.

Auf Druck Sigismunds wird das Schisma überwunden

Neben der Wiederherstellung der kirchlichen Einheit (causa unionis) harrten vor allem die innere Reform der Kirche (causa reformationis) und die Auseinandersetzung mit „ketzerischen Lehren“ sowie Fragen der kirchlichen Verkündigung (causa fidei) einer Lösung.Tatsächlich wurde dieses Konzil in der Stadt mit 6.000 Einwohnern zu einer Kirchenversammlung, welche fast das ganze Abendland repräsentierte. Anwesend waren neben Papst Johann XXIII. die Vertreter der beiden anderen Päpste, 29 Kardinäle, etwa 300 Bischöfe und Prälaten und mehrere hundert Doktoren der europäischen Universitäten; hinzu kamen noch einmal etwa ebenso viele Vertreter der weltlichen Seite: deutsche und ausländische Fürsten oder deren Gesandte, Städteboten und Grafen aus allen europäischen Königreichen.

Natürlich ließen sich gewisse Gegensätze während des Konzils nicht vermeiden. So waren die Kardinäle im Gegensatz zur Masse der übrigen Teilnehmer überwiegend reformfeindlich eingestellt. Auch kamen unterschiedliche nationalpolitische Interessen der Herkunftsländer zum Vorschein. Wenn Ergebnisse erzielt wurden, lag das nicht zuletzt am energischen Einsatz von König Sigismund, dem als Vogt der Kirche auch die weltliche Schirmherrschaft über das Konzil oblag.

Teilweise glichen die Vorgänge bei diesem Konzil einem Drama: Papst Johann XXIII. hoffte, in Konstanz sein Papsttum bestätigt zu bekommen, stattdessen fand er dort aber wenig Anhänger und um so mehr Anklagen gegen sich. So verließ er am 20. März 1415 heimlich Konstanz, um zu dem mit Sigismund verfeindeten Herzog Friedrich von Tirol zu gelangen. Wahrscheinlich hoffte er, das Konzil letztendlich nach Frankreich verlegen zu können, wo er seine Wünsche und Forderungen besser vertreten zu finden glaubte. Sigismund jedoch griff hart durch, verhing die Reichsacht über Herzog Friedrich und rief seine Nachbarn zum Kampf gegen ihn auf, so daß sich Friedrich genötigt sah, Johann wieder auszuliefern. Papst Johann selbst wurde nach einem Prozeß am 29. Mai 1415 einstimmig abgesetzt. Im Juli darauf folgten die beiden anderen Päpste. Am 11. November 1417 schließlich wurde durch die Wahl des Papstes Martin V. das Schisma beendet.

Ein völliger Fehlschlag waren dagegen die Bemühungen um die Reform der katholischen Kirche. Italiener und Spanier wünschten keine Schwächung des Papsttums, auch die Kardinäle fürchteten im Falle einer Beschneidung päpstlicher Rechte eigene Nachteile. Das Hauptproblem einer sittlichen Hebung des Klerus wurde nicht angegangen. Erst Martin Luther sollte hundert Jahre später eine Reform der Kirche an Haupt und Gliedern folgenreich anmahnen.Was die Fragen der kirchlichen Verkündigung anging, so wurden die Probleme sogar noch verschlimmert.

Die Verurteilung von Johann Hus zog nicht nur religiöse, sondern auch revolutionäre Wirkungen nach sich. Hus, stark beeinflußt von den Lehren des englischen Theologen John Wyclif (dieser kritisierte unter anderem die Autorität des Papstes, die weltliche Herrschaft und den materiellen Wohlstand der Kirche), propagierte eine Reform der Kirche gemäß der Bibel. Nach diesem Buch, dem Gesetz Christi, waren demnach alle kirchlichen Einrichtungen, einschließlich des Papsttums und der kirchlichen Hierarchie, zu messen.

Quelle eines nationalen Aufbruchs der Tschechen

Seine Forderungen richteten sich jedoch nicht gegen die Kirche als solche, sondern in erster Linie gegen die bestehenden Mißstände in ihr. Bereits am 3. November 1414 traf er in Konstanz ein, nicht zuletzt auch wegen des vom König zugesicherten freien Geleits. Der hauptsächliche Untersuchungsgegenstand war das Verhältnis von Hus zu Wyclif, da letzterer auf dem Konzil für seine Lehren verdammt wurde. Auch wenn Hus in den Verhandlungen zu Zugeständnissen bereit war, blieb er standhaft in der Meinung, den Boden der orthodoxen Lehre nicht verlassen zu haben und lehnte den Widerruf seiner Schriften, die vom Konzil verurteilt wurden, ab, so sie nicht durch die Heilige Schrift widerlegt werden würden. Da Hus damit letztlich auch die Autorität des Konzils bestritt, war er todgeweiht und wurde am 6. Juli 1415 als Ketzer verbrannt.

Dieses Ereignis hatte in Böhmen weitreichende Folgen: Hus wurde durch seinen Märyrertod zum Nationalhelden und zur Quelle eines nationalen Aufbruchs der Tschechen. Es kam zu Aufständen gegen die Katholiken und insbesondere gegen die deutsche Bevölkerung in Böhmen, die danach an Moldau und Eger eine starke Schwächung erfuhr. Da die Deutschböhmen einen Großteil der Oberschicht stellten, hatte diese Erhebung obendrein noch eine soziale Dimension. Diverse „Kreuzzüge“ gegen die Hussiten blieben fruchtlos, da die Rebellen mit der Taktik der Wagenburgen und der Verwendung der damals aufkommenden Feuerwaffen auf freiem Feld den königlichen Truppen überlegen waren. Erst nachdem sie sich untereinander zerstritten und König Sigismund mit dem gemäßigten Flügel dieser Bewegung ein Abkommen schloß, konnte der radikale Flügel der Taboriten 1434 endgültig besiegt werden.

Direkte Folge dieser Kriege war, daß der niedere böhmische Adel als Sieger hervorging. Böhmen selbst verlor durch diese Kriege jedoch seine ökonomische und kulturell herausragende Stellung in Europa. Längerfristig konnte sich die Bewegung des Hussitismus nicht durchsetzten, in der katholischen Kirche wurde Jan Hus bis heute nicht rehabilitiert. In den protestantischen Kirchen genießt er aber als früher Reformator hohes Ansehen. Historiker diskutieren immer noch über Ursache, Triebkraft und Bewertung von Jan Hus und der gleichnamigen Bewegung. Wurden früher die religiösen Ursachen betont, so stehen heute immer mehr soziale und nationale Aspekte gleichberechtigt daneben.

Fest steht, daß das nationale Selbstbewußtsein der Tschechen schon damals einen enormen Aufschwung erhielt, in der Amtssprache das Tschechische nun das Lateinische verdrängte und nicht zuletzt Jan Hus durch seine Schriften die Entwicklung der tschechischen Literatur stark beeinflußte. Auf jeden Fall beweist das Beispiel der Hussiten, daß das Phänomen des Nationalismus entgegen oft gehörten Behauptungen kein singuläres Produkt der Französischen Revolution von 1789 oder der Bürgergesellschaft des neunzehnten Jahrhunderts ist, sondern sich schon viel früher äußerte.

www.konstanzer-konzil.de

Foto: Wilhelm Camphausen, „Hus auf dem Scheiterhaufen“, Holzstich 1856: Nation vor der Bürgergesellschaft

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